Pulp mit Pfiff: Die Anomalie

Hervé le Tellier | aus dem Französischen von Romy und Jürgen Ritte | Rowohlt | 352 Seiten | 22,-- € | E-Book 19,99 €

Hervé le Tellier spielt in „Die Anomalie“ ein cleveres Gedankenexperiment auf Groschenroman-Niveau durch

106 Tage nachdem der Air-France-Flug 006 von Paris nach New York gelandet ist, bricht dieselbe Boeing 787 erneut durch die Wolken. Mit denselben Passagieren, demselben Bordpersonal und den identischen Piloten. Kein Wunder, dass der Fluglotse und ihm folgend bald die ganze Welt durchdreht: Denn wie soll das gehen?
Bis es zu dieser „Anomalie“ kommt, nimmt sich der französische Autor ein knappes Buchdrittel Zeit, um ausgewählte Passagiere dieses Fluges vorzustellen: ein Profikiller namens Blake, die alleinerziehende Lucie, der erfolglose Autor Victor Miesel, ein Musiker, ein Architekt, eine Anwältin... Wer schon zuviel weiß über das Buch, wird auf den Moment hinfiebern, im dem das Flugzeug samt seinen 243 Insassen in einem geheimen Hangar geparkt wird und das Chaos ausbricht und diese im Pulp-Stil geschnitzten Figurenminiaturen so hinnehmen.
Und vermutlich könnte Hervé le Tellier auch anders. Aber der Reiz seines mit dem französischen Prix Goncourt ausgezeichneten Romans liegt eben darin, Trash mit philosophischem Überbau zu krönen, eine Mischung aus Frank Schätzing und Stephen King mit Science-Fiction zu kreuzen. Und so rätselt man mit den klügsten Wissenschaftlern ihrer Zeit mit, was diese Verdoppelung zu bedeuten hat: Handelt es sich um ein Wurmloch-Phänomen, eine Fotokopie oder leben wir gar in einer Simulation, in der ein Programmierfehler auftritt oder noch schlimmer, eine Bewährungsprobe?
Auch wenn le Tellier im letzten Buchdrittel seiner literarischen Versuchsanordnung etwas schematisch die Möglichkeiten abspult, welche die Treffen der Doppelgängern mit sich bringen: Diese Anomalie unterhält, schafft Anlass zum Nachdenken und tut auch nicht größer, als sie wirklich ist.


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