Phlox

→ In diesen wehmütigen Erinnerungsstrom lohnt es sich hineinzuspringen!

Geht es noch schlimmer? Der Sehnsuchtsort seiner Kindheit soll einer Herberge für Motorradfahrer weichen? Nicht, bevor Richard Sparka noch einmal dahin gefahren ist, wo er als Kind alle Jahre lang seine glücklichste Ferienzeit verbringen durfte: Schmogrow, fiktives Dorf im Oderbruch, zwei Stunden raus aus Berlin, Ort seligster Heimatgefühle und Basis für Weltbetrachtungen, die der Berliner Autor Jochen Schmidt seine Hauptfigur im Akkord anstellen lässt. Nämlichen Richard Sparka hat Schmidt schon in seinem Vater-Sohn-Buch „Zuckersand“ dauer-sinnieren lassen. Jetzt geht es mit einer auf Hochtouren laufenden Erinnerungs- Maschine weiter. In deren Zentrum steht das Selbstversorger- und Gastgeberehepaar Tatziet sowie deren Haus und Hof: Scheinbar nichts gibt es dort, das Sparka nicht ins Schwärmen brächte und voller Wehmut zurückdenken ließe. Schmidts schriftstellerische Methode ist dabei – bestens an Proust geschult – das liebevolle Würdigen und Ausspinnen selbst allerkleinster Details: So schraubt er sich in kleingärtnerisches Fachwissen und Omas Konservierungstechniken hinein und schafft es, selbst dort eine ganze Welt zu eröffnen, wo andere blind vorbeilaufen. Das könnte einem schnell rosarot zum Hals raushängen, würden dabei nicht immer wieder auch die dunklen Seiten dieses Selbstversorger-Paradieses vor der Zeit durchblitzen: die Nähe der Tatziet-Eltern zum völkischen Denken, die grausamen Kriegs-, Flucht- und Hungergeschichten und natürlich der aktuelle Blick auf die Gegenwart, in der selbst bei der Gestaltung von Grabsteinen das Hässliche, Vorgefertigte und mit dem „Kleister der Gedankenlosigkeit“ Zugeschmierte Einzug gehalten hat.

Jochen Schmidt
479 Seiten
Ch.Beck, 25,– €,
eBook 18,99 €


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