Mit Air Jordan im brennenden Tourbus: Milow

Dem 37-jährigen Belgier Jonathan Ivo Gilles Vandenbroeck – besser bekannt als Milow – gelang vor zehn Jahren mit seiner Single „Ayo Technology“ der internationale Durchbruch. Seither hatte er zahlreiche Hits und ist einer der bekanntesten europäischen Singer-Songwriter. Nach drei Jahren Pause ist Ende Mai sein neues Album erschienen und zudem nimmt er auch an der aktuellen „Sing meinen Song“-Staffel teil. Ende Juli spielt er in Bopfingen und im Herbst ist er dann auf ausgedehnter Tour. Grund genug für ein Gespräch mit dem sympathischen Künstler. Und obwohl er sein Privatleben fast vollständig aus der Öffentlichkeit heraushält, ist er in Bezug auf seine Musik sehr auskunftsfreudig und ein richtig angenehmer Gesprächspartner.

XAVER: Hallo Milow. Du hast vor Kurzem ein Bild eines kleinen Hauses in Leuven gepostet. Du hast da vor Jahren zusammen mit Großteilen deiner damaligen Band auf engstem Raum unter einem Dach gewohnt. Der Post klang fast schon etwas wehmütig – vermisst du die Zeit manchmal?

Milow: Naa, so wehmütig war das gar nicht gemeint. Ich will keinesfalls das Rad der Zeit zurückdrehen! Aber ich denke schon viel an diese Zeit zurück und diese Jahre werden immer sehr lebendig in meiner Erinnerung bleiben. Ich hatte da so viele Träume, aber eben auch Zweifel, ob das alles funktionieren würde. Ich glaube, ich bin von Natur aus etwas nostalgisch veranlagt, und das ist ja auch etwas, das viele Singer-Songwriter gemeinsam haben, dass sie eben sehr sentimental sind und auch besonders Kleinigkeiten in ihrem Leben aufmerksam betrachten. Und wann immer ich in Leuven bin, schaue ich, dass mich meine Laufstrecke an diesem Haus vorbeiführt. Und in diesem Jahr bin ich irgendwie sogar noch sentimentaler als sonst, weil wir 2019 haben und ich quasi mein zehnjähriges Jubiläum als erfolgreicher Künstler begehe. 2009 war also das Jahr, in dem sich mein Leben komplett geändert hat: Anstatt nur in Belgien Musik zu machen, hatte ich plötzlich ganz Europa erobert. 2019 ist also das Jahr, in dem ich mir erstmals erlaube, so ein bisschen zurückzuschauen. Und das ist auch ein Grund für die Teilnahme an „Sing meinen Song“. Ich finde zwar, dass man als Musiker nicht zu oft zurückschauen sollte, weil das auch so eine Art Last sein kann, wenn man zu sehr im Vergangenen gefangen ist. Da wiederholt man sich dann auch schnell, aber in dem Fall ist es ein schöner Anlass für eine Rückschau.

X: Das erwähnte Foto hast du beim Laufen gemacht. Gehört das zu deiner täglichen Routine? Achtest du sehr auf deine Gesundheit?

M: Das ist leider kein Teil einer täglichen Routine, einfach weil ich leider nicht jeden Tag dazu komme. Aber ich versuche, es wenigstens ein paar Mal die Woche zu schaffen. Wenn ich, wie im Moment gerade, auf Promo-Tour bin, dann ist der Tag immer völlig mit Interview-Terminen und so weiter vollgepackt und ich versuche, das dann wieder mit etwas Training auszubalancieren.

X: Bis vor Kurzem hast du dein Management noch komplett selbst gemacht und deine Alben auch über dein eigenes Label veröffentlicht. Jetzt hast du aber ein Management, das sich um dich kümmert. Ist es doch zu viel geworden, um das nebenher noch zu erledigen?

M: Du hast recht, da hat sich etwas verändert. Aber mein Label, Homerun Records, habe ich immer noch und alle meine Alben werden nach wie vor da veröffentlicht. Und das mit dem Management war ein Zugeständnis. Ich habe halt auch nur sieben Tage die Woche, und irgendwann kann man sich einfach nicht mehr selbst um alles kümmern. Aber es sagt mir nach wie vor keiner, was ich zu tun habe, ich treffe alle wichtigen Entscheidungen, da redet mir keiner rein. Aber es geht eher um solche Sachen, wie die ganzen E-Mails abzuarbeiten und allgemein die Sachen, die mir nicht so wichtig sind, um die kümmert sich dann das Management.
X: Na ja, so lange du nicht irgendwelche Werbespots für Produkte machen musst, hinter denen du nicht stehst.

M: Genau. Ich stehe nach wie vor hinter allem, was ich tue; ich entscheide, was gemacht wird und was nicht. Ich finde das auch seltsam, dass manche Künstler später dann vieles aufs Label oder das Management schieben; ich bin da eher so der Teamplayer und schaue, dass es erst gar nicht zu Konfliktsituationen kommt.

X: O. K., dein Label heißt Homerun Records, auf dem Cover deines nächsten Albums bist du auf einem Basketballplatz, du gehst laufen – das hört sich nach einem recht sportlichen Menschen an…?

M: Jein. Ich verbringe den größten Teil meines Lebens mit Musik, aber Sport hat schon immer eine Rolle in meinem Leben gespielt. Und es war auch eine echte Überraschung für mich, als das mit dem Touren richtig losgegangen ist, festzustellen, dass es da viele Ähnlichkeiten zwischen dem Leben als Musiker und dem als Leistungssportler gibt. Den ganzen Tag arbeitet man auf ein paar entscheidende Stunden hin, man versucht, sich optimal vorzubereiten und fit zu sein und das Team spielt eine große Rolle. So eine Tour-Vorbereitung bei mir ist ganz ähnlich, als ob man sich auf einen Langstreckenlauf vorbereitet. Ich versuche, beim Beginn der Tour in Topform zu sein. Und seit ich das so sehe, ist auch alles viel einfacher geworden.
X: Da spielt dann Disziplin eine große Rolle.

M: Absolut. Das Ding bei so einer Tour ist ja auch, dass du über Wochen unterwegs bist und der Plan ist, dass jedes einzelne Konzert für das Publikum und alle Beteiligten top wird. Das ist ein bisschen wie ein Tennis-Match, man muss über die ganze Dauer des Spiels konzentriert bleiben und darf sich nicht ablenken lassen.
X: Ich glaube, dass viele Leute da auch noch dieses „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“-Klischee im Kopf haben.

M: Ja klar, aber das geht ja auf die 60er- und 70er-Jahre zurück. Leider ist das heute nicht mehr so! (lacht) Und obwohl wir das alles sehr professionell angehen, ist auch immer noch genug Platz für Partys und Feiern. Aber ein Großteil ist – wie wohl in jedem anderen Beruf auch – harte Arbeit. Aber ich bin froh und glücklich, dass ich das alles machen kann!

X: Du hattest ja auch nie einen Plan B, falls es mit der Musik nicht klappen sollte. Aber du hast wohl zeitweise als Barkeeper gearbeitet. Kannst du dann bis heute noch diverse Cocktailrezepte auswendig?

M: Nein, und ich muss gestehen, dass ich auch kein sonderlich guter Barkeeper war. Ich war auch nie für Cocktails zuständig, ich habe eher Bier gezapft. Und es stand auch nie zur Diskussion, dass das eine Hauptbeschäftigung werden könnte. Ich habe mir da etwas Geld dazuverdient, bis es dann mit der Musik richtig losgegangen ist. Es war aber gut, das kennenzulernen, weil wir da einerseits eine gute Zeit im Team hatten und ich andererseits eben auch diese Welt der „geregelten Jobs“ kennengelernt und gemerkt habe, dass es das nicht ist und dass ich Musiker werden möchte.
X: Aber ich vermute mal, dass du seither immer großzügig Trinkgeld gibst, oder?

M: Na, aber sicher!
X: Und wo wir es gerade von Getränken und Musikern haben: Es gibt da ein paar sehr unterhaltsame Catering-Listen von Künstlern oder Bands im Netz. Wie sieht das denn bei dir so aus, hast du ein paar Sonderwünsche an die Veranstalter vertraglich festgehalten?

M: Na ja, das kommt natürlich immer darauf an, wo für dich die Grenze hin zu Sonderwünschen verläuft. Und diese Liste ist ja immer auch eine Kombination der Wünsche all derer, die mit mir unterwegs sind. Als ich die Liste das letzte Mal gesehen habe, stand nichts Extravagantes drauf, mal abgesehen von der Flasche Champagner oder Prosecco, die wir eben nach der Show gemeinsam köpfen. Aber das ist doch jetzt nix Verrücktes, oder?

X: Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, war euer Tourbus gerade mitten in der Nacht in der Nähe von Stuttgart in Brand geraten.

M: Oha, das ist schon ein paar Jahre her. In der Zeit ist eine Menge verrückter Sachen passiert, aber ich bin echt glücklich, dass so was in letzter Zeit nicht mehr passiert ist. Mit dem einen Tourbus-Unternehmen war diese Feuergeschichte, dann haben wir zu einem belgischen Anbieter gewechselt und sind mit dem Bus irgendwo in den Schweizer Bergen liegen geblieben. Wir haben uns dann entschieden, mit einem etwas professionelleren Busunternehmen zu arbeiten und hatten seither keinerlei Probleme mehr! Das ist auch eine der Sachen, die man mit der Zeit lernt. Es gibt da ja kein Handbuch, das einem die gängigen Fehler bei den ersten Schritten im Musikgeschäft auflistet. Das ist so Lehrgeld, das man zahlt.

X: „Ayo Technology“ war dein Durchbruch hier in Deutschland. Der Song ist im Original von 50 Cent, Justin Timberlake und Timbaland – haben die sich denn je zu deiner Version geäußert?

M: Die Geschichte habe ich ja schon ein paar Mal erzählt: Der Song war ja ursprünglich nur eine Art Witz für einen Auftritt bei einer Radiostation. Die haben das aber gefilmt und ins Netz gestellt und so hat das eine unerwartete Eigendynamik bekommen. Aber nein, ich habe bis heute nichts von den Herren gehört. Und nachdem das jetzt zehn Jahre her ist, wird da wohl auch nichts mehr kommen. Würde ich den Song heute veröffentlichen, würde ich wohl bestimmt etwas von denen hören, einfach, weil das über Twitter und so weiter viel direkter laufen kann mit der Kommunikation. Aber ich bin dem Song bis heute sehr dankbar, das hat so viele Türen geöffnet. Und der Hintergrund war ja auch nie, in Kontakt mit 50 Cent oder Justin Timberlake zu treten.

X: Aber jetzt mal zu deinem neuen Album „Lean Into Me“: Wo hast du das denn aufgenommen?

M: Ich habe die Hälfte davon letztes Jahr von April bis Mai in Los Angeles aufgenommen und die andere Hälfte dann Anfang des Jahres in Europa. Und um ehrlich zu sein, war das gar nicht so geplant, die Aufnahmen aufzuteilen. Das hat sich dann einfach aufgrund diverser Verpflichtungen so ergeben. Aber das spiegelt auch perfekt wider, wie sich mein Leben dieser Tage so aufteilt; ich lebe ja die Hälfte des Jahres in Kalifornien. Und so ist das Album ein perfektes Abbild davon, wie ich 2019 bin. Und was ich vorhin auch schon in Bezug auf „Sing meinen Song“ erwähnt habe, so ist auch das Album eine Art Rückschau auf die letzten zehn Jahre, ein Mix von all dem, was ich musikalisch und textlich so gemacht habe. Das ist fast so wie ein Best-of-Album mit ganz neuen Songs! (lacht) Der erste Song, den ich für das Album geschrieben habe, „Michael Jordan“, ist stark erzählend, fast wie ein Springsteen-Song. Und als ich den Song geschrieben habe, wusste ich auch plötzlich, in welche Richtung das neue Album gehen würde, und so fiel alles an seinen Platz.
X: Geht es in diesem Song dann etwa um „His Airness“ Michael Jeffrey Jordan, den legendären Basketball-Spieler?

M: Aber so was von! Ich habe mich bei dem Song daran erinnert, wie ich 14, 15 Jahre alt war. Und meine Freunde und ich waren damals eben riesige Jordan- und NBA-Fans. Und das war so eine unschuldige Zeit in meinem Leben. Da war noch alles möglich. Jeder noch so abwegige Traum, den wir damals hatten, hätte theoretisch noch verwirklicht werden können. Das war so eine tolle Zeit, aber wenn du das einem 14-Jährigen erzählst, dann wird er das eher nicht so sehen. Man kann in dem Alter gar nicht ein- und wertschätzen, was das für eine glückliche, unbeschwerte Zeit ist. 1995. Als Jordan noch gespielt hat. Und ich mit meinen Jungs jeden Tag Körbe geworfen habe. Keiner wusste damals, was mal aus uns werden würde. Und in dem Song geht es dann auch um die Beziehung zu meinem Vater und das Erwachsenwerden. Der Song steht zwar erst an achter Stelle, aber er ist definitiv der wichtigste auf dem Album! Und er ist wohl auch einer der wichtigsten Songs, die ich bis jetzt geschrieben habe.
X: Das erklärt dann auch das Albumcover.

M: Genau. Das ist der Bezug zu dieser Geschichte.
X. Wenn du also die Hälfte des Jahres in Kalifornien lebst und ein großer Basketball-Fan bist, schaust du dir dann ab und an mal ein NBA-Spiel an?
M: Ich war tatsächlich schon bei dem einen oder anderen Spiel. Allerdings gar nicht so oft. Denn in Kalifornien ist das eine der größten Sportarten. Es gibt aber nur zwei Teams in Los Angeles, die Lakers und die Clippers. Und in die Arenen passen leider nicht so viele Leute, wie in die europäischen Fußballstadien – es ist also gar nicht so leicht, an Tickets zu kommen!


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