Labern ums Leben

Sven Regener macht in „Glitterschnitter“ weiter mit seinen phänomenalen Dialogschlachten.

Sie sind alle wieder da. Gerade so, als hätte Sven Regener vor vier Jahren am Ende von „Wiener Straße“, im tristen Berliner November des Jahres 1980 die Zeit eingefroren und sein irres Romanpersonal gleich mit: Raimund, Ferdi und Karl Schmidt mit ihrer unsäglichen Band „Glitterschnitter“, die auch für den Titel sorgt. Natürlich Frank Lehmann, der neuerdings im Café Einfall aus dem Aufschäumen von Milch für angesagte koffeinhaltige Heißgetränke nicht mehr rauskommt. Mit dabei auch wieder die Berufsnichte Chrissie samt ihrer Mutter Kerstin und dem schwäbischen Vermieter Erwin Kächele. Und selbstverständlich die Ösi-Bande aus der ArschArt-Galerie, die aus dem ehemaligen Friseursalon Intimrasur jetzt ein Wiener Kaffeehaus machen wollen.
Nur einen Monat später, in wenig vorweihnachlicher Stimmung, reißt Sven Regener sein stehendes Personal wieder zurück ins Kreuzberger Leben und führt die zwei Hauptstränge (der Künstler H.R. Ledigt soll einen zwölf Quadratmeter großen Ölschinken malen und die Band Glitterschnitter bewirbt sich mit Nachdruck für ein großes Musikfestival am Wannsee) nach großem Hin und Her wieder in einem klassischen Kuddelmuddel-Finale zusammen. Mehr als um die vernachlässigenswerte Handlung geht es aber wieder ums Reden über das beabsichtigte Tun. Denn das ist im unverändert großartigen Schnodder-Sound des „Element of Crime“-Sängers wieder die Substanz des Romans. Es wird über Sinn, Unsinn und Schwachsinn debattiert, Wörter und Dialekte (Österreichisch und Berlinerisch) auf die Goldwaage gelegt, übers Reden nachgedacht und auch wenn dabei am Ende nicht wahnsinnig viel rauskommt, schält sich doch so etwas wie eine Bedeutung heraus. Und mit der neuen Glitterschnitter-Saxophonistin Lisa und der resoluten Punkmaria
am Mischpult übernehmen endlich auch mal ein paar resolute Frauen das Ruder. „Nichts ist blöder, als ein Bild ohne Idee zu malen“, sagt der genialische und über all dem Irrsinns-Getriebe stehende Künstler H.R. Ledigt einmal zu seinem Agenten Wiemer. Dasselbe gilt wohl auch für die Bücher Regeners, dem man ein höheres Ziel unterstellen darf. Oder wie es die österreichischen Hausbesetzer in ihrem galoppierenden Shakespeare-Wahn sagen würden: „Ist dies schon
Tollheit, hat es doch Methode.“

Glitterschnitter
Sven Regener
480 Seiten | Galiani
24,-- € | eBook 19,99 €


zurück