Kollektive Phantome: 17 Hippies
Immer donnerstags hat sich vor gut 16 Jahren ein bunter Haufen Musikbegeisterter in Berlin zum fröhlichen Musizieren zusammengefunden und sich begeistert mit akustischen Instrumenten auf altes Material gestürzt, das jeder mit seinem individuellen multikulturellen Hintergrund ins Rund geworfen hat. 17 Leute waren sie wohl nie und mit Hippietum haben sie auch wenig am Hut, der Name blieb aber irgendwann einfach so hängen. Für den fantastischen Film „Halbe Treppe“ steuerten sie die Filmmusik bei und traten auch selbst im Film auf, was für einen weiteren Schub in Sachen Popularität sorgte. Mittlerweile gelten sie also auch durchaus im eigenen Land etwas - außerhalb Deutschlands, ob nun in Frankreich, England, Spanien, Algerien, China, Japan, Griechenland, Tschechien, Belgien, USA, Kanada oder Irland usw. sind sie längst ein tolles Aushängeschild für ihre Heimat. Eben von einer Tour in Australien und Neuseeland und einem kurzen Besuch in Frankreich zurück, stand uns „Oberhippie“ Christopher Blenkinsop Rede und Antwort. Ein quirliger Kerl, ein sehr angenehmer und aufgeweckter Gesprächspartner, der aber auch schwer zu stoppen ist und hörbar Feuer und Flamme ist für seine Kunst.
Christopher Blenkinsop: Ja, richtig. Demnächst gehen die Proben aber schon wieder los.
CB: Ja, wobei man sich das nicht so als fest abgesteckten Zeitraum vorstellen sollte, das zerfasert ja so, wir sind irgendwie ständig unterwegs. Unsere letzte Tour hat vor ein paar Tagen aufgehört und die nächste fängt schon Ende dieses Monats an.
CB: Das letzte Jahr war das das erste Mal seit 16 Jahren nicht der Fall, aber sonst eigentlich schon, ja.
CB: Ach, da gibt’s jetzt auch wieder 500 und eine Geschichte dazu. Ich kann Dir jetzt nur meine sagen: Man ist, wie gesagt, viel unterwegs, spielt die ganze Zeit usw. Letztes Jahr war ich dann kurz mal wieder in Berlin und habe da mit einem Typen gesprochen, der unseren Kram repariert. Der meinte dann, dass er uns hier und da vor ein paar Jahren mal live gesehen hat und fragte dann plötzlich: „Sag mal, spielt Ihr eigentlich noch??“ Und ich dachte nur so für mich „Wow, geil. Du wohnst hier, der wohnt auch hier und kriegt das einfach nicht mit!“. Man macht was, das enorm viel des eigenen Lebens bestimmt, und andere Leute, die an sich recht nah an einem dran sind, kriegen das nicht mit - das hat schon etwas Phantomhaftes. Oder eine andere Geschichte: Unser englischer Booker war in Abu Dhabi. Da spielte dann Robert Plant und alle sagten „Wow, Robert Plant spielt, wie cool!“. Vor Plant hat dann Faiz Ali Faiz gespielt, ein Sänger aus Pakistan. Und da kamen dann über 100.000 Leute. Und nach Faiz Ali Faiz sind dann alle Nicht-Europäer eben mal gegangen. Bedeutung und Relevanz kann sich also mit ein paar Kilometern Distanz ganz enorm verschieben, das hat auch was von einem Phantom, hier Legende, da ein Niemand. Und solche Geschichten gab’s viele in unserem Umfeld und da stellte sich die Frage, wodurch man überhaupt existiert.
CB: Absolut, wir sind ja keine Stars. Das Obskure ist ja, dass sich in unserem Alltag gar nichts geändert hat, es ist nicht so, dass vor meinem Haus eine Meute hysterischer Teenies campiert.
CB: Wobei wir relativ früh auch schon im Ausland unterwegs waren. Zuerst haben wir nur in Berlin und ab und zu auch um Berlin gespielt. Dann kamen aber auch schon Angebote aus Paris und plötzlich hatten wir sogar ein französisches Label und eine französische Bookingagentur. Und ein halbes Jahr später ging es dann schon in den USA los. Zu der Zeit war es in Deutschland aber immer noch sehr schwer, Shows außerhalb Berlins zu spielen. So nach dem Motto „Nee, in Mannheim, das ist schlecht, wir können da nicht so viele Hotelzimmer stellen!“ und so weiter (lacht). Das hat ziemlich gedauert, bis wir in Deutschland auch außerhalb Berlins spielen konnten.
CB: Klar, anfangs sah die Gruppe anders aus als heute. Ab einem gewissen Punkt musste das straffer organisiert werden, da konnte man dann eben nicht mehr kurzfristig entscheiden, ob man nun Zeit und Lust hat, die nächsten Shows zu spielen; schließlich müssen da Tickets gebucht und verlässliche Pläne geschmiedet werden. Um den Kern der Leute, die heute auf der Bühne stehen, gibt es noch viele Leute, die noch dabei geblieben sind, auch wenn sie live nicht mehr mitspielen.
CB: Genau. Und dieser Kreis ist ganz schön groß. Manche Leute haben mittlerweile einfach vier Kinder, und die können folglich keine 180 Konzerte im Jahr spielen und daheim fehlen.
CB: Boah, das ist kompliziert, da müssten wir ins Detail gehen. Auf der einen Seite sind wir so eine Art Kollektiv. Wenn man sich das Kleingedruckte auf den Platten anschaut, dann taucht da immer ein gewisser Max Manila auf. Der ist bei der GEMA gemeldet, ist aber eine fiktive Person. Wir haben recht früh schon ein recht merkwürdiges System entwickelt, als wir gesagt haben, dass wir uns nicht über Geld und Eitelkeiten wie Credits - also wer hat was geschrieben - unterhalten wollen. Wir haben also Max Manila erfunden und dazu ein Punktesystem. Grob gesagt bekommt man für ein Konzert und auch für eine Probe einen Punkt, und für ein paar andere Sachen entsprechend auch. Und je mehr Punkte Du auf Deinem Konto hast, umso mehr gehört Dir vom Ganzen. Und Gewinne werden entsprechend auf die Teilhaber umgelegt. Wenn man also seit einer Weile nicht mehr mitgespielt hat, wächst das eigene Konto nicht mehr an, aber man bekommt auch bei Passivität immer noch entsprechend ausgeschüttet. Die Leute behalten die Punkte aber, bis sie sterben. Im Moment sind das so an die 35 Teilhaber. Manche von den Leuten habe ich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, weil sie eben mittlerweile ganz anders unterwegs sind. Aber das Künstlerische kann natürlich nicht so organisiert sein. Wenn es um die Musik geht, entscheide letztendlich ich. In Sachen Terminen entscheidet Kiki und Antje ist für die Abrechnungen zuständig.
CB: Aufgenommen wurde in drei Studios. Angefangen haben wir im Herbst 2010, teilweise sogar parallel an verschiedenen Orten, so dass Leute ihre Sachen selbst aufgenommen haben und dann die Files geschickt haben.
CB: Ja, das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass es ein sehr gesangsorientiertes Album geworden ist und wir auch ganz anders mit der Musik umgegangen sind. Das war aber im Vorfeld gar nicht so geplant. Es waren allerdings erstmals in der Bandgeschichte Texte da, bevor die Musik dazu vorlag.
CB: Letztendlich weil wir einfach festgestellt haben, dass es gesangsorientiert wird. Und das war uns seither gar nicht so wichtig, wurde teilweise auch ganz zum Schluss eben noch so dazugemacht. J.D. Foster wurde uns empfohlen und wir haben ihn mitten in den Aufnahmen kontaktet und es hat wundersamerweise recht kurzfristig geklappt. Der hat viele Sachen ganz anders gemacht, als wir das über die Jahre gewohnt waren, und gerade das war eine großartige Erfahrung. Es war wichtig, dass wir uns da geöffnet haben. Früher entstanden unsere Alben auch mehr so zwischen Tür und Angel, so nach dem Motto „Ach, wir haben drei Tage Zeit; komm lass uns mal ein paar Stücke aufnehmen!“
CB: Das ist uns auf jeden Fall wichtig, aber in dem Fall war es so, dass Dirk, der bei uns ja auch singt und Gitarre spielt, diesen Dialekt spricht. Als der in die Schule kam, haben sie ihm damals gesagt, dass er ja gar kein Deutsch kann! Bei einer Familienfeier hat seine Verwandtschaft nach ein paar Schnäpsen doch noch das ein oder andere alte Lied „rausgerückt“ und wir haben das dann eben aufgenommen. Der Song hat etwas sehr Lyrisches und Schönes. Ich sehe mich z.B. auch viel mehr als Berliner, als als Deutscher. Wir denken doch eher in Regionen. Und auch wenn man lange, lange so getan hat, als ob das nicht so ist, ich finde das normal.
CB: Teils, teils. Ich bin auf jeden Fall total fasziniert von neuen Klängen und knie mich da auch gerne rein und suche so was.
CB: Komischerweise höre ich das oft von anderen Leuten. Wir hatten da aber seither meist Glück. Zu dritt oder viert stelle ich mir das chaotischer vor, weil man sich da gegenseitig auch schwer entkommen bzw. aus dem Weg gehen kann. Und bei uns ist so was problemlos möglich und zudem hat jeder seine kleine, überschaubare Aufgabe. Der eine kümmert sich um die Koffer, der andere checkt die Batterien usw. Außerdem haben wir ein paar Frauen im Team und die sind bekanntlich besser organisiert.
CB: So eine richtige Katastrophe gab’s eigentlich nur einmal, als wir in Galizien spielen sollten, da dann auch ankamen, aber unsere Instrumente eben leider nicht. Worüber ich mich dann aber eher ärgere, ist, wenn man in die USA einreist und da behandelt wird, als ob man ein Sträfling wäre. Da frage ich mich immer warum. Sehr bedrückend empfand ich es auch, als wir vor einiger Zeit in Tel-Aviv und Jerusalem gespielt haben. Danach ging es für uns weiter nach Jordanien. Und rein technisch dürfen Israelis wohl nach Jordanien reisen, wir haben also ein paar befreundete Musiker dann gefragt, ob sie nicht mitkommen wollen, die meinten aber, dass das de facto keine gute Idee ist. Da merkt man erst, was man als West-Europäer für Privilegien genießt. Auf der anderen Seite dieser Grenze haben wir dann wieder Musiker kennen gelernt, die mit denen aus Israel bestimmt total gut klar gekommen wären, aber es ging einfach nicht. Und so was finde ich unfassbar und komischerweise zunehmend frustrierend.
CB: Ganz ehrlich: nein. Ich bin, weil wir so viel unterwegs sind, dann auch wahnsinnig froh, mal zu Hause zu sein und mit dem Fahrrad durch mein Viertel zu fahren. Ich fahre auch nicht in den Urlaub. Aber ab und an fahren wir ein paar Tage früher an einen Auftrittsort, um uns da noch ein bisschen umzusehen!