Der Rote Diamant

Versteckspiel im Klosterlabyrinth: Thomas Hürlimann erzählt in „Der Rote Diamant“ lustvoll vom Leben hinter dicken Mauern

Arthur Goldau heißt jetzt Zögling 230. Von seiner Mutter im September 1963 in die Klosterschule „Maria zum Schnee“ verfrachtet, wird der Elfjährige nur in Begleitung eines weitgereisten Koffers namens „der Galizier“ plötzlich vom liebevoll umkosten „Arthie-Darling“ zur bloßen Nummer, mit derselben Kutte und denselben
Sandalen wie alle hineingestoßen in einen Kreislauf aus Tagen, Wochen, Monaten und Jahren, die der Schweizer Autor Thomas Hürlimann in seinem großartigen Mix aus Bildungsroman und Schatzsuche als „Ewiger Tag“ beschreibt. Das Ziel ist klar: „Gefäße sollten wir werden, ausgehöhlt und glatt geschliffen“. Vasen, in die sich die Lehren der katholischen Kirche einfach hineinkippen lassen.
Hürlimann muss wissen, wie sich das anfühlen mag. War er doch selbst in der Stiftsschule Einsiedeln, einer Benediktinerabtei, die mit ihrer schwarzen Madonna zu den beliebtesten Wallfahrtsorten der Schweiz zählt. Wo seine Biographie endet, und die Fiktion anfängt, ist nebensächlich in diesem wilden Ritt durch die in ihrer unmenschlichen Härte beschriebenen Erziehungspraxis, die für die jungen Burschen nur gerade so erträglich wird durch den festen Glauben, einem historischen Rätsel auf der Spur zu sein. Denn der titelgebende „Rote Diamant“, der letzte Schatz der habsburgischen Kaiser, von Kleopatra über die Stauferkaiser nach Wien gekommen, soll irgendwo in dem Kloster versteckt sein. Verschiedene Brüder sollen Teile des Puzzles kennen, keiner aber die ganze Lösung – und mit großer Lust am Abenteuer stürzen sie sich auf die Suche.
Mit großem Sinn für Humor, und ohne Angst, auch mal etwas handgreiflicher zu werden, betreibt Hürlimann hier Traumabewältigung, abgerundet mit einem ordentlichen Schuss Detektivarbeit im Stile von „Der Name der Rose“.
→ Schatzsuche und Traumabewältigung

Thomas Hürlimann
320 Seiten
S. Fischer,
24 €, eBook 22,99 €


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