Der die Gans würgt: Mittelalte Männer

Richard Russo | aus dem Amerikanischen von Monika Köpfer | 608 Seiten | Dumont | 26,-- € | eBook 19,99 €

Richard Russos Campusroman „Mittelalte Männer“ ist ein Flashback in die Jahrtausendwende

Mit dem gerade mal fünf Jahre älteren Schriftsteller Richard Ford hat Richard Russo nicht nur den Vornamen gemein: Beide Autoren mögen es auch, ihre Hauptfiguren zu Seismografen der Gesellschaft zu machen – und zwar aus der Perspektive von Männern im besten Alter, die vom „Lebensabschnitt der Taten“ in den der Gnade übergetreten sind. Ein solcher ist auch William Henry „Lucky Hank“ Devereaux Jr. der in dem bereits 1997 im Original erschienenen College-Roman festgesattelt der Englischfakultät in der fiktiven West Central Pennsylvania University vorsitzt und innerhalb einer verhängnisvollen Woche seine Glück schwinden und die Felle davonschwimmen sieht: Das mit der Prostata wird zunehmend unkalkulierbar und seine Kollegen drehen durch, weil die alljährlich befürchtete Kürzungswelle diesmal tatsächlich durchzuschlagen scheint. Als er in Anwesenheit eines lokalen Fernsehteams eine Gans würgt und im Spaß droht, Budgetkürzungen mit Federviehfrevel zu kontern und danach tatsächlich Geflügel zu Schaden kommt, wackelt sein Lehrstuhl…
Erfreulich unzynisch geht Russo in seinem jetzt erst auf Deutsch erscheinenden Roman zu Werke. Und macht damit eigentlich nichts anderes, als in der Roman-Reihe um seinen unauffälligen Kleinstadthelden Donald “Sully” Sullivan. Nur eben im Genre des im europäischen Literaturbetrieb nicht so populären Campus-Romans, in dem die kleinen Alltagsdramen im Mikrokosmos der Universitätsbetriebs ausgefochten werden. Auf mehr als 600 Seiten lässt Russo seinen Ich-Erzähler gemütlich und freundlich ironisch kommentierend durch Slapstick-Szenen, Intrigen und die kleinen körperlichen Unfälle von Männern jenseits der 50 treiben. Gleichzeitig ist das ein Rückblick in die Zeit vor einem Vierteljahrhundert, als die Genderdebatte im Hochschulbetrieb Einzug hielt und Russo schon vor der Erfindung sozialer Medien und der Erfindung des „Filterblasen“-Begriffs die Realitätsblindheit bestimmter Gruppen für Ereignisse außerhalb ihrer eigenen Wahrnehmung problematisierte.


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