Das Jahresbankett der Totengräber

Achterbahn fahren im Rad des Lebens
Sprengt Grenzen: „Das Jahresbankett der Totengräber“ von Mathias Énard

Was für eine Maßlosigkeit! Welcher Überschwang! Das lässt sich in diesem monumentalen Roman-Monster nicht nur von der titelgebenden Orgie der Totengräber sagen, die mit einer Unersättlichkeit sondersgleichen bei ihrem alljährlichen Zwei-Tags-Gelage die Pflanzen-, aber vor allem die Tierwelt erheblich dezimieren und dabei Reden halten, bei denen einem die Ohren glühen. Dies gilt auch für dieses ins Grenzenlose ausufernde Romankonstrukt über 1001 Art zu Sterben und die vielfältigen Freuden des Lebens, welches Énard kunstvoll zusammenzurrt: Einmal ist dies als Rahmen das Tagebuch des Ethnologie-Doktoranden David Morzon, der im Département Deux-Sèvres in einer Art Feldstudie das Leben auf dem Lande vermessen will, sich aber immer weiter prokrastinierend von dem trägen Landleben einlullen lässt.

Von der Enge des Dorfes schwingt sich aber im „Innenteil“ des Romans ein Gott-gleicher Erzähler empor, der durch das Figurenarsenal von Wirten, Bestattungsunternehmern, Bürgermeistern, Künstlern und Landwirten pflügt und in anekdotischen Episoden Generationen von Dorfbewohnern beleuchtet und nebenbei das ganz große Rad dreht. Nämlich das Lebensrad aus der buddhistischen Lehre: Ganz schwindlig könnte einem bei dieser Achterbahnfahrt werden, wenn etw die Seele eines verstorbenen Priesters in ein neugeborenes Eberferkel fährt und selbst die frühere Daseinsform ekliger Würmer in der Dusche des oben genannten Ethnologen erklärt wird: Selbige waren finstere Mörder und guillotinierte Schwerverbrecher und haben so ihre mehr als verdiente Belohnung erhalten.

Wie Énard in seinen geistreichen Ausflügen immer wieder die Zügel schleifen lässt und mit überbordender Erzähllust durch die Jahrhunderte springt - diese Provinz-Bestandsaufnahme dann aber doch zu einem kompakt zusammenhängenden Etwas schnürt, ist große und mit verwegenem Witz aufgeladene Kunst.

Das Jahresbankett der Totengräber
Mathias Énard
aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller
480 Seiten
Hanser, 26 Euro, eBook 19,99 Euro


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