Mit dem Rächerlachs auf Kolumnen-Suche: Axel Hacke

Der gebürtige Braunschweiger Axel Hacke ist zwar Anfang des Jahres 65 geworden, hat aber keinerlei Anlass und Absicht, sich zur Ruhe zu setzen.

Der Meister der literarischen Kurzdistanz, der seit über 30 Jahren wöchentlich eine oft brillante Kolumne im Magazin der Süddeutschen Zeitung schreibt, ist nicht nur für kurzweilige Bücher bekannt, sondern auch für grandiose Lesungen. Nur wenige Autoren bringen es wie er auf zwischen 80 und 90 Lesungen pro Jahr. Im aktuellen Buch nimmt er seine Leserschaft mit ins „Sprachland“ und serviert dort u.a. Rächerlachs, Kichererben, Gordon Bleu oder auch Coffee To Go zum Mitnehmen. Bevor er Ende September in Herbrechtingen gastiert, stand er Anfang August bestens aufgelegt telefonisch Rede und Antwort.

XAVER: Hallo Herr Hacke und danke, dass Sie sich die Zeit für das Interview nehmen. Udo Lindenberg hat dieser Tage verkündet, dass er sich jetzt nicht mehr um die ganzen Autogramm- und Signierwünsche kümmert, die ihm in sein Hotel

geschickt werden, weil ihn das zu sehr vom kreativen Prozess ablenkt – wieviel Zeit investieren Sie denn täglich in Leserzuschriften?
Axel Hacke: Naja, so viel ist das jetzt nicht, dass mich das irgendwie belasten würde. Und außerdem profi tiere ich ja auch davon, weil ich aus meiner Leserpost schon einige Bücher gemacht habe – auch im neuesten „Im Bann des Eichelhechts“
habe ich tausende Briefe, Mails und Geschichten der Leser über die Jahrzehnte verarbeitet. Es ist auch gar nicht so viel Arbeit. Ich mache das nicht jeden Tag, ich ziehe das meist zusammen, sodass ich etwa einmal in der Woche für zwei Stunden mit den ganzen Briefen beschäftigt bin; und das ist nicht zu viel, finde ich.
X: Und kommt da der Großteil in elektronischer Form, oder sind da auch noch viele handschriftliche Sachen dabei?

AH: (lacht) Nee, wenn da was Handschriftliches kommt, dann weiß man direkt, dass der Absender mindestens 80 ist und ansonsten gar keine E-Mails schreibt. Das sind aber auch oft die nettesten Briefe! Das sind dann oft nette, alte Damen,
die einem dann schreiben, und das freut mich immer sehr. Aber der Großteil der Leserpost kommt mittlerweile per E-Mail oder über Facebook. Und es ist natürlich auch nur deswegen so viel, weil es so einfach ist, mir zu schreiben. Man muss heute eben nicht mehr einen Briefbogen heraussuchen, eine Briefmarke finden, zum Briefkasten laufen und zuallererst mal meine Adresse herausfinden. Heute schreibt man eine E-Mail, klickt zwei Mal und schon ist das bei mir. Manchmal kommt es dann auch direkt vom Handy; es ist heute sehr einfach, Leserbriefe zu schreiben und deswegen sind es ja auch so viele.
X: Haben Sie denn dann ein spezielles System entwickelt die Mails zu archivieren? Denn wie Sie ja eben auch schon erwähnt haben: Manche dieser Zuschriften werden später dann für Bücher verwendet, aber Sie wissen bestimmt nicht gleich beim ersten Lesen, dass daraus jetzt etwas in einem der nächsten Bücher landet…

AH: Nee, leider bin ich da total chaotisch! Das war dann gerade beim letzten Buch auch die Hauptarbeit, das alles wiederzufi nden und herauszufinden, wer mir da überhaupt geschrieben hat. Irgendwann nach den „Wumbaba“-Büchern
und irgendwann nach „Oberst von Huhn“ habe ich gedacht, dass ich sowas nicht mehr mache. Ich habe das zwar alles nett beantwortet, aber nicht systematisch archiviert. Nach 15 Jahren habe ich mir aber gedacht „Ach Mensch, das wäre eigentlich doch ganz nett, dieses viele Material doch zu verarbeiten!“ – und dann ging das Gesuche los! Das war das Schlimmste!
X: Das Hörbuch zum neuen Buch haben Sie wieder selbst eingelesen. Das war bestimmt nicht einfach, wegen der vielen lustig-falschen Übersetzungen, Verleser und Verhören – hat das Einsprechen denn dieses Mal länger als sonst gedauert?

AH: Nein, eigentlich nicht. Aber Sie haben Recht, es war tatsächlich schwerer als bei manchen anderen Büchern vorher, weil man es eben oft nicht so einfach runterlesen konnte. Aber so ein Hörbuch zu machen, ist immer auch eine Frage
der Vorbereitung. Wenn man sich ins Studio setzt, dann muss man schon wissen, wie man was aussprechen kann und will. Wenn man also gut vorbereitet ist, dann geht das relativ zügig im Studio. Man möchte da ja auch nicht mehr Zeit
verbringen als nötig, weil solche Studios selten besonders schön sind.
X: Ich hab Sie jetzt schon mehrfach live erleben dürfen und bin immer wieder baff , wie Sie es schaff en, dass Sie sich da nicht ein einziges Mal versprechen bzw. verlesen. Haben Sie da eine spezielle Ausbildung gemacht…

AH: Nöö. Nöö, ich habe überhaupt gar keine Ausbildung. Ich konnte tatsächlich schon als Schüler fehlerfrei vorlesen. Ich wurde schon in der Grundschule in höheren Klassen vorgeführt. Mein Lehrer hat mich z.B. vor der neunten Klasse vorlesen lassen, so nach dem Motto „Kuckt mal, wie gut der Kleine vorlesen kann und ihr könnt das gar nicht!“. Das fanden die natürlich furchtbar toll und ich habe dann in der folgenden Pause auf die Nase bekommen, weil die sich natürlich an mir gerächt haben. Aber das Schwierige ist ja auch weniger das fehlerfreie Lesen, sondern dass man lebendig liest, es spannend macht und bei den Lesungen nicht nur liest, sondern auch viel erzählt, damit das eine lebendige Veranstaltung
wird. Das fällt mir aber auch alles nicht schwer und macht mir sogar Spaß. Meine Frau sagt immer, dass ich nirgendwo so entspannt bin wie auf der Bühne. Scheint also eine Begabung zu sein.
X: Dann haben Sie auch gar nicht mit Lampenfieber kurz vor dem Auftritt zu kämpfen?

AH: Überhaupt nicht. Das hätte ich vielleicht, wenn ich etwas auswendig können müsste, oder wenn ich wirklich eine Rolle spielen müsste. Aber ich muss einfach nur ich selbst sein und das ist relativ einfach!
X: Das Publikum weiß bei Ihren Lesungen im Vorfeld kaum, was es erwartet. Denn auf dem Plakat steht nur „Axel Hacke liest und erzählt“. Klar kommt das aktuelle Buch im Programm vor, aber in welchem Anteil weiß man vorher nicht. Wie kamen Sie zu diesem Konzept?

AH: Das kam so mit den Jahren. Bei meinen ersten Lesungen bin ich natürlich auch am Buch geklebt und hab nur daraus gelesen. Ich habe dann aber gemerkt, je lockerer ich das mache und je mehr ich zwischendurch auch mal etwas erzähle, desto besser wirkt das eigentlich. Außerdem: Je mehr Lesungen ich gemacht habe, desto langweiliger wurden mir auch die Wiederholungen. Wenn man an vier aufeinanderfolgenden Tagen pro Woche jeden Abend eine Lesung hat, dann wird das beim vierten Mal schon echt mühsam. Deswegen weiß ich oft selber nicht so genau, was ich am Abend eigentlich mache, weil ich das auch für mich selber spannend machen will. Und wenn es für mich selbst spannend ist, dann ist es auch lebendig… und das ist auch schon der ganze Trick dabei.
X: Nach ca. 2000 Lesungen über die letzten Jahre kam dann plötzlich Corona. Wie haben Sie die kulturelle Zwangspause erlebt, als Sie plötzlich viel mehr zu Hause waren? Haben Sie mehr geschrieben, oder angefangen etwas Neues zu

lernen, Brot zu backen, Schafe zu züchten…?
AH: Nee, ich habe ja genug zu tun. Mein erster Beruf ist ja nicht Vorlesen, sondern Schreiben. Und ich habe dann halt die Zeit, in der ich sonst unterwegs war, genutzt, um zu schreiben. D.h. ich bin plötzlich jeden Morgen normal ins Büro
und abends wieder nach Hause gegangen. Und das war sehr schön eigentlich. So hatte ich die Abende auch mal für mich, war morgens ausgeschlafen und hab mich ausgeruht an den Schreibtisch gesetzt und musste also nicht im ICE oder
im Hotel arbeiten. Das war in einer bestimmten Art und Weise auch ganz schön. Und dann haben wir so ein paar Online-Veranstaltungen gemacht, aber das macht ja keinen Spaß. Da gibt es kein Publikum, man redet in eine Kamera rein und
dann ist es irrsinnig anstrengend, weil es so überhaupt kein Echo gibt, kein Beifall, kein Lachen, gar nichts… Das haben wir dann halt gemacht, um irgendwie die Zeit zu überbrücken und irgendwie auch den Kontakt zu den Leuten zu halten. Das
war auch erfolgreich, aber ausgerechnet als wir das das erste Mal live gemacht haben, hat die Technik gestreikt. Das war ganz chaotisch… Ich hatte auch gedacht, dass danach ein Sturm der Entrüstung über mich hereinbrechen würde, das
war dann aber gar nicht so! Es kamen sogar aufmunternde Mails und Nachrichten bei Facebook, dass man das ja von eigenen Zoom-Sitzungen kennt und dass es ja aufgezeichnet wurde und man es sich ja immer noch anschauen kann
usw. Ein einziger hat ganz empört geschrieben, dass er sein Geld zurückhaben möchte und was das denn für ein Service sei. Ich habe ihm dann geantwortet, dass der traurigste Mensch an dem Abend wohl ich selbst gewesen war. Aber da hat
sich dann später prompt seine Frau gemeldet und sich für ihn und seinen Ton entschuldigt!
X: Vielleicht haben Ihre Leser durch Ihr Buch über den Anstand ja generell mehr Anstand und verhalten sich korrekter als andere Leute!?

AH: Das glaube ich nicht, ich denke, dass der größte Teil der Menschen anständig ist, sich aber speziell im Internet meist besonders die Leute Gehör verschaff en, die halt einfach frustriert und irgendwie auch schlecht erzogen sind.
X: Das eben erwähnte Buch „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“ von 2017, war das auch eine Reaktion auf Donald Trump als off ensiv ohne Anstand agierender Mensch?

AH: Genau das war der hauptsächliche Anlass. Ich hatte ursprünglich nur in einer Kolumne über den Begriff des Anstandes geschrieben. Und darauf bekam ich ein riesiges Echo und hab so gemerkt, wie bedürftig die Leute nach diesem Thema sind. Und dann sagte ich bei einem Gespräch mit meiner Verlegerin, dass man eigentlich ein Buch über
eben diesen Begriff des Anstandes schreiben müsste. Dieses Wort war ja zumindest damals noch irgendwie spießig mit Benimmfragen behaftet. Jedenfalls habe ich mich dann hingesetzt und in drei Monaten dieses kleine Buch geschrieben
und tja, es war ja dann ein riesiger Erfolg. Und ich glaube auch gerade weil eben so viele Menschen schockiert sind über die Verkommenheit des Tons, ob nun im Internet, bei Trump oder bei der AfD…
X: Die Zusammenarbeit mit Michael Sowa, der seit Jahren Ihre Bücher illustriert, zieht sich so ein bisschen durch Ihr Schaffen, wie haben Sie ursprünglich zusammengefunden?

AH: Wir haben uns schon vor 30 Jahren durch meine Verlegerin kennengelernt. Ich hatte damals das Buch „Der kleine König Dezember“ geschrieben. Und meine Verlegerin meinte, dass das der Michael Sowa illustrieren muss. Seine Arbeit kannte ich zwar, aber ich hätte nie gewagt ihn zu fragen, weil er damals als Maler schon sehr berühmt war. Meine Verlegerin hat dann aber angefragt und er kam dann mit seiner Entourage in München vorbei, wir haben uns in einer Kneipe getroff en und sofort gut verstanden. Und so hat Michael also die Bilder für „Der kleine König Dezember“ gemacht und die haben einfach super gepasst. Ich hatte mir die Figuren wirklich genau so vorgestellt! Und seither arbeiten wir zusammen und sind schon sehr lange gut befreundet.
X: Bezüglich Fußball haben Sie sich mal als Fußballfreund bezeichnet und gesagt „Ich eigne mich nicht zum Fan“. Wie haben Sie die EM erlebt?

AH: Ich bin dem Fußball mittlerweile irgendwie entfremdet. Das ist alles zu abgehoben, es geht oft nur noch ums Geld. Mir hat es schon nicht gefallen, dass die WM in Russland stattgefunden hat; ein Land, in dem sich das Regime grundsätzlich
nicht an Regeln hält. Und es gefällt mir noch viel weniger, dass die nächste WM in Katar stattfindet. Das ist mir alles fremd. Außer in unteren Ebenen. Mein Lieblingsverein Eintracht Braunschweig spielt aktuell in der dritten Liga und da interessierts mich dann plötzlich wieder so ein bisschen. Da spielen viele alte, ehemals große Vereine, z.B. 1860 München. Da geh ich
dann auch mal ins Stadion, Stehplatz! (lacht)
X: Und zum Abschluss die Frage, wenn Sie die berühmte Fee treff en würden, die Ihnen drei Wünsche gewährt, welche wären das?

AH: Ein großer Wunsch wäre, dass einige Menschen wieder zur Vernunft zurückkehren. Also Leute, die behaupten, das Corona-Virus wäre eine Erfindung der herrschenden Klasse, oder Leute, die sagen, dass die Klimaveränderung nichts mit dem Menschen zu tun hat. Das nächste wäre, dass vielleicht doch nicht alles so schlimm kommt, wie man sich das gerade so vorstellt. Wenn man die Nachrichten anschaltet, sieht man ja fast nur apokalyptische Bilder… Und der dritte
Wunsch wäre, dass ich ein bisschen mehr Zeit für meine Kinder und Enkelkinder habe. Ich bin jetzt 65 Jahre und ein bisschen weniger Arbeit wäre auch ganz schön. Aber ich bin eben Freiberufler und da haut sowas wie der Ausfall sämtlicher Lesungen für über ein Jahr ganz schön rein.
TOM


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