Hosen runter mit Konzept: Summerbreeze / Achim Ostertag

Es sieht düster aus in der deutschen Festival-Szene. Als im letzten Jahr sämtliche großen Festivals abgesagt werden mussten, haben sich alle schon auf den Sommer 2021 gefreut in dem Corona ja bestimmt kein Thema mehr sein würde. Kam dann leider doch irgendwie anders. Viele Festivals wurden schon abgesagt und eher pessimistisch veranlagte Leute sind sich sicher, dass auch die restlichen Sommerfestivals erst 2022 wieder stattfi nden werden. Das Team vom SUMMER BREEZE OPEN AIR ist aber optimistisch, dass noch in diesem Jahr endlich wieder Festivalatmosphäre in Dinkelsbühl erlebt werden kann. Und sie haben allen Grund dazu! Warum verrät uns der Festivalgründer und -veranstalter Achim Ostertag beim entspannten Gespräch in der Abtsgmünder Firmenzentrale.

XAVER: Achim, Ihr habt dieser Tage eine massive „Presseoffensive“ gestartet und politische Entscheidungsträger und Presseorgane mit einem off enen Brief und einem ausgeklügelten Infektionsschutzkonzept überrascht. Gestern hab ich sogar einen Fernsehbeitrag im BR gesehen in dem sich u.a. auch der Dinkelsbühler Oberbürgermeister Christoph Hammer von der CSU hinter Euch stellt und für ein Festival in diesem Jahr plädiert – gibt’s schon weitere Reaktionen?

Achim Ostertag: Zunächst mal war die Reaktion der Fans überwältigend positiv – auch in Bezug aufs Infektionsschutzkonzept. Die Resonanz im Business war ebenfalls nur positiv. Für viele ist das glaube ich auch so eine Art Hoff nungsschimmer. Wir haben ja in Bezug auf das Konzept zur Durchführung komplett die Hosen runtergelassen und das auch komplett öff entlich gemacht; es kann sich also jeder andere Veranstalter rausziehen, was für ihn wichtig oder relevant ist. Wir hatten dann am Tag darauf auch gleich eine große Austauschrunde der Musikbranche Süddeutschland in einer Webkonferenz gehabt, wo sich also sowohl Club- als auch Festivalveranstalter kurzgeschlossen haben. Uns war vorher gar nicht bewusst, wie viel Hoff nung unsere Off ensive da verbreitet hat. Auch aus der Politik kamen erste Rückmeldungen, wobei die Mühlen da etwas langsamer mahlen und es etwas dauert, bis man Konkretes hört. Aber u.a. hat sich unser Landratsamt bzgl. eines Termins gemeldet und das Büro von Christian Lindner hat einen Austausch mit seinem Kulturbeauftragten angeboten. Und das ist ja schon mal was. Jetzt geht’s eben darum, dass wir mit den Entscheidungsträgern in der Politik ins Gespräch kommen um entsprechende Lösungen zu erarbeiten.
X: Ich fand das ja schon mal beachtlich, dass sich der Dinkelsbühler Bürgermeister im Fernsehinterview hinter Euch und das Konzept gestellt hat... Ohne den Rückhalt am Veranstaltungsort wäre es wohl eher nicht möglich für 2021 zu planen.

AO: Klar, das ist viel wert! Wir arbeiten schon seit Jahren sehr eng mit der Stadt Dinkelsbühl zusammen und schon zu Beginn der Pandemie im letzten Jahr haben wir erste Gespräche geführt. Für uns ist es natürlich schön zu sehen, dass die Stadt und der Bürgermeister unsere Expertise wertschätzt und uns vertraut wenn es um die professionelle Ausarbeitung eines solches Konzeptes geht. Natürlich müssen die Rahmenbedingungen im Sommer stimmen, wir brauchen niedrigere Inzidenzzahlen und hoffen auch auf schnell voranschreitendes Impfgeschehen. Aber selbst wenn wir in Deutschland bis zu unserem Festival noch nicht so weit sind, greift unser engmaschiges Testkonzept und gibt die nötige Sicherheit um das Festival mit gutem Gewissen durchführen und besuchen zu können! Wenn jetzt die Politik mit an den Tisch kommt, dann könnte eine ganze Branche aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden und der Staat auch massiv Überbrückungsgelder einsparen, wenn man den Leuten wieder eine reguläre Verdienstmöglichkeit erlauben würde. Das ist ja auch so eine Sache, wir wollen gar kein Geld vom Staat, wir wollen einfach „nur“ unsere Arbeit machen!
X: Ich vermute mal, dass ein Großteil der Fans sehr viel tun würden, damit sie endlich wieder ihre „fünfte Jahreszeit“ entsprechend erleben können!

AO: Ja das stimmt. Eine kürzlich durchgeführte repräsentative Besucherumfrage hat gezeigt, dass eine eindeutige Mehrheit bereit ist Einschränkungen wie Tests und andere Sicherheitsmaßnahmen in Kauf zu nehmen um wieder ein Konzert erleben zu können. Die Zustimmungsrate lag durchweg bei 85% - 94%.
X: Wie viele Leute haben denn an der Umfrage teilgenommen?

AO: Knapp 18.000
X: Wow, das sind ja richtig viele.

AO: Interessant ist auch, dass die Leute im Durchschnitt über zehn Minuten dafür verwendet haben um die Umfrage auszufüllen – das ist echt beachtlich! Einer hat gestern noch geschrieben, dass er sich sogar einer Darmspiegelung unterziehen würde, wenn er dann aufs Festival dürfte – DAS planen wir aber nicht! (lacht)
X: Das Infektionsschutzkonzept wurde mit einem Expertenteam von u.a. der Hochschule Aalen, der Universität Trier, der Universität der Bundeswehr München und dem Bayerischen Roten Kreuz ausgearbeitet. Wie kam die Runde zusammen?

AO: Mit der Uni Trier standen wir schon vor Corona in Kontakt - genau wie mit dem BRK über die dann auch viel gelaufen ist. Prof. Dr. Ulrich Holzbaur von der FH Aalen ist ja ohnehin ein Begriff in der Region. Da gab es in der Vergangenheit auch schon Berührungspunkte mit der Hochschule. Professor Holzbaur holte seinen Kollegen aus dem Bereich Gesundheitsmanagement und Epidemiologie, Prof. Dr. Ahrens, mit ins Boot. Es war uns hier besonders wichtig ein wissenschaftlich fundiertes, belastbares Endprodukt abzuliefern, damit es auch eine gewisse Aussagekraft hat. Die Förderung im Rahmen des „Neustart Kultur“-Programms der Bundesregierung haben geholfen diesen Expertenkreis an den Start zu bringen und einen Teil der Entstehungskosten zu deckeln. Aber es muss auch generell mal gesagt werden, dass alle Behörden, die für uns zuständig sind, ob nun das bereits genannte BRK oder auch die für uns zuständige Polizeidirektion Ansbach, uns wirklich mit Rat und Tat zur Seite standen und stehen. Das erarbeitete Konzept ist ja nicht in Stein gemeißelt, das ist so wie die Lage auch dynamisch und viele Maßnahmen, die jetzt gelistet werden, sind hoff entlich in ein paar Monaten schon gar nicht mehr nötig, wenn die Inzidenzwerte im Sommer anders aussehen und die Impfquote weiter vorangeschritten ist.
X: Du bist also optimistisch trotz bereits erfolgter Absagen von Rock am Ring, Hellfest, Southside und Rock Harz?

AO: Ja! Man muss hier natürlich erwähnen, dass die genannten Festivals allesamt schon im Juni oder Anfang Juli hätten stattfi nden sollen, da kommt uns eben entgegen, dass wir für die zweite Augusthälfte planen.
X: Was macht eigentlich das europäische Umland? Weißt Du von Festivals die stattfi nden?

AO: England hat schon vor ca. zwei Monaten einen klaren Fahrplan verkündet, mit dem die Chancen gut stehen, dass die Rechnung aufgeht. Da würden dann ab Ende Juni sämtliche Maßnahmen aufgehoben werden und alles wieder öff nen und so auch Events stattfi nden. Unsere Kollegen vom Bloodstock-Festival, die eine Woche vor uns dran sind, planen ganz normal und der Vorverkauf läuft wohl auch richtig gut. Auch in den Niederlanden gibt es viele Testkonzerte und konkrete Pläne im August wieder größere Festivals möglich zu machen. Dort setzt man auch verstärkt auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus solchen Testveranstaltungen.
X: Über ein Jahr Corona – was hat das mit Deiner Firma, der Silverdust GmbH, gemacht?

AO: Es war ganz klar ein extrem schwieriges Jahr. Wobei wir 2020 relativ schnell abgehakt haben nachdem wir mit unseren europäischen Freunden das European Metal Festival Alliance (kurz EMFA) Online-Event auf die Beine gestellt haben. Das war ein schönes Projekt mit viel Aufwand, hat fi nanziell aber natürlich nicht viel eingebracht, dennoch ging es ja auch um die Schulterschluss-Geste an sich: 13 Festivals aus Europa, vereint in der Mission, den Fans ein bisschen Festival-Feeling per Stream nach Hause zu liefern. Die Sachen, die wir in der Region als Ersatz fürs SUMMER BREEZE Corona-konform geplant hatten, wurden leider nicht genehmigt, was natürlich bitter war, einfach weil wir da auch schon viel Erfahrungen fürs jetzige Konzept hätten sammeln können. Egal; es hat ja ohnehin jeder gedacht, dass das 2021 alles längst hinter uns liegt und zu dem Zeitpunkt hat auch niemand mit einer zweiten Welle im Herbst gerechnet. Im Oktober sind wir dann aber schon das große Infektionsschutzkonzept angegangen und spätestens im Dezember war dann ja auch allen klar, dass Corona auch 2021 das beherrschende Thema bleiben würde. Seit Dezember testen wir auch unsere Mitarbeiter hier im Haus jede Woche mehrfach, haben in der Zeit schon viele verschiedene Corona-Schnelltests ausprobiert und konnten so wichtige Erfahrungen sammeln. Man muss aber trotz viel Optimismus auch sagen, dass es eine schwierige Situation für die Firma ist. Es kann auch nicht jeder Mitarbeiter gleich gut damit umgehen, dass es den einen Tag einen Schritt voran und am nächsten Tag wieder zwei zurück geht. Hinzu kommt die Belastung im privaten Alltag. Auch in der Branche können Viele mit dieser Perspektivlosigkeit gar nicht gut umgehen. Auch bei mir gabs in den letzten zwölf Monaten schon auch hin und wieder weniger optimistische Tage oder auch Wochen, an denen ich mich gefragt habe, was das alles soll und wofür wir hier so viel Planung, Geld und Herzblut investieren. Bei uns ist es aber so, dass wir von den unabhängigen Festivalveranstaltern einer der größten sind und allein deswegen wollen wir da auch ein Stück weit mit gutem Beispiel voran gehen. Aufgeben ist für uns einfach keine Option.
X: Ein positiver Eff ekt von Corona ist ja, dass man jetzt viel besser mit Onlinemeetings und Homeoffice klarkommt. Du warst früher viel geschäftlich in der Welt unterwegs, heute läuft fast alles online – bleibt das auch nach Corona so?

AO: Jein. Klar, man hat gemerkt, dass Vieles auch online besprochen und vermittelt werden kann. Aber beispielsweise bei Konferenzen geschieht das Wichtige oder Wertvolle oft abseits der eigentlichen Veranstaltungen; an der Kaff eemaschine, am Buff et oder abends an der Bar. Und das ist online nicht möglich.
X: Du hast weltweit Festivals besucht, welches hat Dich besonders beeindruckt?

AO: Wow, da bekomme ich jetzt, nur weil ich dran denke, direkt Gänsehaut! (lacht) Also da fallen mir einige ein... Das Loud Park Festival in Tokyo war zwar in einer Halle, war aber sehr besonders, weil die Leute dort ganz anders feiern. Aber auch Ozzfest & Knotfest in San Bernadino, Kalifornien - zwar nicht so professionell, wie man das aus Europa gewohnt ist, aber die Kulisse in einem Amphitheater in den kalifornischen Bergen ist sehr beeindruckend. Auch in Europa gibt es tolle Festivals abseits der bekannten riesigen Veranstaltungen, z.B. das Resurrection Fest im spanischen Outback, in Galizien oder auch das Tons Of Rock in Norwegen, das früher in einer alten Festung stattfand. Selbst das Technofestival Tomorrowland in Belgien haben wir uns mal angeschaut und das war - abseits der Musik - hochinteressant.
X: Du bist mit der Firma ja auch stark regional verwurzelt u.a. seid Ihr Trikot-Sponsor der Kreisliga-Mannschaft der TSG Abtsgmünd – sind deren Trikot-Verkäufe seitdem eigentlich gestiegen?

AO: Nein, sind sie nicht. Die verkaufen die Trikots aber auch gar nicht (lacht).
X: Die dürfen ja aktuell auch nicht spielen, Ihr seid aber weiter als Sponsor aktiv?

AO: Ja, klar!
X: Am Firmengebäude prangt ein riesiges Banner, das für die Internetplattform Tagesessen.comwirbt. Wie kommt denn ein Metalfestival dazu eine derartige Plattform zu starten?

AO: Die Idee hatte ich schon vor ein paar Jahren. Da waren Bauarbeiter in der Nachbarschaft, die sich hier nicht ausgekannt haben, die mehrfach nachgefragt haben, was man denn in der Gegend so als Tagesessen / Mittagstisch gibt. Und als Teile des Teams jetzt etwas Luft hatten, haben wir die Zeit genutzt um die Plattform deutschlandweit an den Start zu bringen. Im Moment ist es noch etwas zäh, weil viele Restaurants ja noch komplett geschlossen sind und andere Anbieter, wie z.B. Metzgereien, viel mehr Nachfrage erfahren, weil eben die Restaurants geschlossen sind. Aber generell kann sich jeder Anbieter komplett kostenlos und ohne Provision anmelden und seine Angebote listen.
X: Zum Abschluss die Signature-Frage nach der Fee und den berühmten drei Wünschen; was wären Deine drei Wünsche?

AO: Als allererstes mal Gesundheit für alle – womit auch die Corona-Sache abgehakt wäre! (lacht) Zweitens, dass wieder alle mehr aufeinander zugehen und man das Gegenüber wieder akzeptieren kann, wie es ist – ich glaube Social Media vertieft die Gräben schon extrem. Und drittens den Sieg in der Champions-League oder die Deutsche Meisterschaft für Eintracht Frankfurt, das würde ich gerne mal erleben


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