Gefühle auf der Goldwaage

1995 unter ihrem bürgerlichen Namen Charlotte Rezbach in Ravensburg geboren, ist für LOTTE schon sehr früh klar, dass Musik ihre Leidenschaft ist. Schon als Kind steht sie auf der Bühne und macht sich über die Jahre einen Namen. Gerade ist sie in der aktuellen Staffel von „Sing mein Song“ im TV zu sehen, demnächst erscheint ihr drittes Studioalbum mit dem sie safe den nächsten Karrieresprung machen wird und im Sommer ist sie dann auf OpenAir-Tour zu erleben – u.a. auch auf der Kapfenburg. Jede Menge gute Gründe also für ein ausführliches Telefonat mit der überaus sympathischen und fröhlichen Wahlberlinerin.

XAVER: Hallo, Lotte!


LOTTE: Hallo Tom, schön, dass das klappt.

X: Na, Du klingst ja super sonnig-fröhlich und gut gelaunt! Knallt bei Euch in Berlin auch so die Sonne vom Himmel?


L: Es ist richtig warm! Ich war gerade noch am Potsdamer Platz in einer Mall. Aus der bin ich gerade raus, um mich ins Auto zu setzen für das Interview mit Dir.

X: Aber Du fährst nicht durch die Gegend gerade?


L: Nee, ich stehe gerade. An sich telefoniere ich super gerne beim Autofahren. Da ich mittlerweile außerhalb des Stadtzentrums von Berlin wohne, bin ich viel auf der Straße und das eignet sich super für entspannte Gespräche. Aber wenn ich mich konzentrieren möchte, dann ist es schon besser, das Auto steht.

X: Es ist schön zu hören, dass Du so gut gelaunt bist. Nach den an sich schon ausreichend fordernden zwei Corona-Jahren ist so ein Krieg „vor der Haustür“ ja noch mal ein ganz anderes Kaliber…


L: Ja, da hast du recht. Die aktuelle Situation ist natürlich sehr präsent und ich glaube, das merken wir alle, auch emotional. Aber unabhängig vom Weltgeschehen, ist bei mir privat gerade tatsächlich eine sehr schöne Zeit. Außerdem startet jetzt mit meinem dritten Album ein neues, sehr aufregendes Kapitel und ich freu mich riesig, dass ich eine Tour anstehen hab im Herbst. Und tatsächlich komme ich quasi gerade erst aus Südafrika, wo wir eine unvergessliche Zeit bei dem Dreh für „Sing meinen Song“ hatten. Alles in allem: es ist ein extrem vielseitiges, aufregendes und turbulentes Jahr für mich.

X: Wo Du gerade „Sing meinen Song“ ansprichst. Da hab ich schon vor ein paar Wochen einen Post der SDP-Jungs gesehen, wo man die Teilnehmer der nächsten Staffel gesehen hat, neben SDP eben Dich, Elif, Clueso und die Nightwish-Sängerin…


L: Ich hab die Sendung ja schon in den letzten Jahren verfolgt und wusste, dass es toll wird. Aber wie emotional es dann tatsächlich war, hatte ich nicht erwartet. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn andere Interpreten und Künstler deine Lieder neu für dich singen und ihre eigenen Geschichten dazu erzählen. Außerdem war die Mischung an Charakteren und Künstlern auch total vielfältig. SDP z.B. sind ultralustige, sympathische Jungs und haben gleichzeitig aber so viel Tiefgang und Herz. Es war eine sehr bereichernde Zeit!

X: Ich hab SDP mit den Kids zu Beginn der Corona-Zeit bei einem Autokonzert auf dem Stuttgarter Wasen erlebt. Und das war natürlich strange, ein Konzert in einem vor der Bühne geparkten Auto übers Radio zu verfolgen, aber die Jungs haben wirklich alles gegeben und das beste aus der Situation gemacht.


L: Das mit den Autokonzerten, habe ich auch so erlebet. Die waren glaube ich für beide Seiten speziell – sowohl fürs Publikum, als auch für die Künstler auf der Bühne. Auf jeden Fall etwas, wovon ich meinen Enkeln irgendwann erzählen könnte. Aber ich freu mich auch, dass es jetzt wieder normale Konzerte gibt, wo man sich fühlen und berühren und richtig sehen kann.

X: Ich klopf direkt mal auf Holz! Genau weiß ichs nicht, zum wievielten Mal Du jetzt

schon Deine nächste Tour geplant und wieder verschoben hast, aber ich schätze, das dritte Mal?

L: Haha, ja, da liegst Du richtig. Dafür werden wir jetzt das neue Album live spielen!

X: Ich hab im Vorfeld des Interviews schon die Gelegenheit gehabt, Dein neues Album „WORAN HÄLTST DU DICH FEST, WENN ALLES ZERBRICHT?“ zu hören. Steht denn mittlerweile fest, wann das erscheint?


L: Mein neues Album wird am 27. Mai erscheinen und ich bin echt unfassbar aufgeregt! Aber hey, du bist einer der ersten, die es gehört haben: Wie fandest du es denn?

X: Ich muss erstmal vorausschicken, dass ich Dich jetzt nicht schon seit Jahren als DieHard-Fan verfolge. Ich hab von Dir gehört und natürlich kenn ich Deinen „Megahit“ „Auf das, was da noch kommt“ zusammen mit Max Giesinger. Aber gerade deswegen hat mich das Album dann doch sehr überrascht. Es gefällt mir sehr gut und es ist vor allem sowohl produktionstechnisch als auch inhaltlich „aus einem Guss“, es klingt sehr zeitgemäß, ist aber alles andere als steril und vor allem hat mich überrascht, wie persönlich Du wirst und dabei auch Themen ansprichst, die – erst recht nicht im Deutschen Pop – alles andere als gängig sind. Ich kann mich jetzt jedenfalls nicht erinnern, in dem Segment etwas derart intensives zum Thema „Sexueller Übergriff und die Folgen“ gehört zu haben.


L: Danke! Ich wollte ein Album machen, das echt ist, das in alle dunklen Ecken reinleuchtet und insbesondere Themen anspricht, über die man eigentlich nicht spricht. Themen, die ich, wie auch viele Freunde von mir, erlebt habe; Themen, die stark mit Scham behaftet sind. Gerade dieses „Nicht-Darüber-Sprechen“ ist Teil des Problems, weil das „Darüber-Sprechen“ eben auch ein Teil der Heilung ist. Ich wünsche mir so sehr eine Welt mit echten Menschen, mit echten Geschichten und echten Falten! (lacht) Ich wünsch mir mehr Anfassbares, Echtes und deswegen war klar: Dafür muss ich bei mir selbst anfangen und den ersten Schritt machen, indem ich mich zeige wie ich wirklich bin. Mit allem was mich dazu gemacht hat. Mit allen schönen und unschönen Geschichten.

X: Wenn wir Texte in deutscher Sprache hören, sind wir viel kritischer mit ihnen als bei englischsprachigem Material. Da zückt man ganz schnell die Goldwaage und empfindet das dann als kitschig oder platt. Dir ist das sehr gut gelungen – ich mag mir gar nicht vorstellen, wie lange Du an den Lyrics gefeilt hast…


L: Dankeschön! Die Arbeit am Album hat sehr viel Zeit gebraucht und dieser Prozess hat so viel mehr Tracks gesehen, als es dann schließlich aufs Album geschafft haben. Ich hab mich da auch selbst sehr herausgefordert. Bin immer wieder über Melodien, aber auch vor allem über Texte drüber gegangen, bis es dann irgendwann genau das ausgedrückt hat, was ich sagen wollte. Das ist ja auch das Schöne daran, dass ich auf Deutsch schreibe – früher habe ich ja auf Englisch getextet – dass es eben meine Muttersprache ist und ich auf diesem Weg so nah wie möglich an das Gefühl rankommen kann, das ich ausdrücken und beschreiben möchte. Ganz oft sind Emotionen eben nicht schwarz oder weiß, sondern es geht um all die
Schattierungen, die dazwischen liegen. Und ob es jetzt um die angesprochenen Toxische Beziehungen oder z.B. auch um Panikattacken oder Eskapismus geht, es ist eben nicht alles gut oder schlecht. Aber nach dem richtigen Ton hab ich nicht nur bei den Worten, sondern auch mit der Produktion lange gesucht. „SO WIE ICH“ haben wir sieben Mal produziert, bis der richtige Sound da stand. Auf diesem Weg hab ich auch mit verschiedenen Produzenten gearbeitet und gesucht.

X: Dann hast den Song nicht nur sieben Mal produziert, sondern ihn dann sogar mit sieben verschiedenen Produzenten gemacht?


L: Ja bei „SO WIE ICH“ waren echt viele Leute beteiligt und es war ein langer Prozess, Schritt für Schritt bis zur Findung. Keine der Versionen auf diesem Weg war komplett doof oder falsch. Dass der Prozess sich so lange gezogen hat, lag am Ende einfach an mir. Mir war es wichtig, bei dem Thema „Sexualisierte Gewalt“ stark und nicht als Opfer dazustehen. Ich wollte laut sein, mich musikalisch wehren, beschützen, eben all das sein, was ich in der tatsächlich erlebten Situation so nicht sein konnte. Und ich wollte meiner Wut über das Geschehen Raum geben. Also haben wir verzerrte Gitarren aufgenommen, meine Stimme verzerrt, die Drums verzerrt - ein richtiges Wutbrett kreiert. Und die Reaktion war meistens: „Ok, wenn Du das möchtest, wenn du deine Geschichte so fühlst, dann machen wir das!“ Aber aus irgendeinem Grund hat sich am Ende keine dieser lauten Versionen echt angefühlt.
Ganz zum Schluss habe ich mit Nikolai Potthoff einen anderen Ansatz gewagt. Ich hab der Fragilität, der Sanftheit, der Verletztheit, dem Unverständnis Raum gegeben. Ich habe auch leiser gesungen, meine Stimme natürlich brechen lassen, vor allem die Worte für sich sprechen lassen. Genau dieser Mut zur Schwäche war dann die eigentliche Stärke und genau das hatte ich die ganze Zeit gesucht.

X: Nikolai Pothoff, hab ich das jetzt richtig verstanden? Der war doch früher bei Tomte, spielt heute Gitarre bei Thees Uhlmann und hat jetzt gerade ein Nummer- Eins-Album mit Casper gehabt?


L: Genau der! Einer der kreativsten, tollsten, geschmackssichersten Menschen, die ich kenne. Und nebenbei noch eine Macht an Mensch.

X: Man muss ja beim Hören von Songs oder auch beim Lesen von Büchern immer das „lyrische Ich“ von dem der Künstlerin trennen. Diese Distanz gibt es bei Dir nicht, es geht immer um Dich selbst. „Für mich ist Musik Therapie“ hast Du mal gesagt, das ist doch bestimmt nicht ohne sich derart zu öffnen und war das von Anfang an der Weg für Dich als Künstlerin?


L: Ich hab schon immer autobiografisch geschrieben und hab das auch schon immer erzählt. Aber jetzt beim diesem Album hat das nochmal eine andere Bedeutung. Ich hab es früher immer wieder ganz gut geschafft, mich in meiner Ehrlichkeit dann doch zu verstecken. Ich habe zum Beispiel einen Song über meine Eltern geschrieben, ohne einmal das Wort Mama oder Papa zu verwenden. Keiner wusste, dass er für sie war. Oder ich hab über eine Affäre geschrieben, die eigentlich unter aller Sau war, und viele denken beim Hören immer noch: Oh, so eine schöne Liebesgeschichte. Zu arg bloßstellen wollte ich mich dann eben doch nicht, und auch nicht zugeben, Fehler gemacht zu haben. Diesen Mut zu finden, das hat eine Weile gebraucht. Das hat auch viel mit Selbstliebe und Selbstakzeptanz zu tun. Sich selbst gegenüber zuzugeben, „Ich bin so, ich hab das erlebt, ich hatte eine toxische Beziehung, ich bin hochsensibel… aber ich bin auf dem Weg, ich bin nicht perfekt, will mich entdecken“,
diese Art von Offenheit ist herausfordernd; aber ich merke jetzt, wo ich das Album fertig habe, dass ich an der Arbeit daran gewachsen bin, dass ich mich immer mehr mag und mich selbst verstehe! Ich bin keinesfalls perfekt, aber es ist schön, mit mir zu leben!

X: Stichwort Feedback. Hast Du in Deinem Umfeld andere Leute, die Du nach ihrer Meinung fragst und u.U. dann noch etwas änderst, oder bist Du die einzige Instanz?


L: Also ich habe schon einen kleinen Kreis von Menschen, die ich um Feedback bitte, aber das wechselt auch. Da ist zum Beispiel mein neues Management, die ich sehr für ihre kreativen Meinungen schätze. Genauso der schon erwähnte Produzent Nikolai Potthoff. Aber der würde z.B. schon mal gar nichts schicken, was nicht eh schon 10/10 ist. Und dann wechselt es aber auch. Ich liebe und brauche Feedback von Menschen, die gar nicht im Musikbusiness arbeiten. Oft schicke ich Musik an meine Schwester, die als Studentin ein ganz anderes Leben und Umfeld hat als ich und frage: „Ey, fühlst Du was?“ nur um zu wissen, ob da etwas ankommt. Also prinzipiell: ich liebe Feedback und ich brauche es auch!

X: Klar, dass Du Dich als Künstlerin nach der langen Corona-Zwangspause wieder auf die Bühne sehnst, aber sehnst Du Dich auch als „Fan“ wieder vor die Bühne? Waren Konzertbesuche vorher fester Teil Deines Lebens?


L: Tatsächlich hab ich selbst nie so viele Konzerte besucht. Mein erstes Konzert war relativ spät, da war ich 14, 15 Jahre alt und war bei Marteria in Friedrichshafen am Bodensee. Ich bin von Kindesbeinen an viel mit Musik aufgewachsen und hab ständig Musik gehört, war aber nie so der Konzertgänger. Erst als ich selbst dann Konzerte gegeben habe, hab ich bemerkt, wie krass das ist und wollte das dann auch häufiger erleben. Das Beste, was ich seither live gesehen habe, waren SEEED und ich freu mich auf noch so viele andere Künstler, die ich sehr gerne mal live sehen möchte!

X: Deine gemeinsame Single mit Max Giesinger „Auf das, was da noch kommt“ wurde mit Gold ausgezeichnet – wo hängt denn Deine Goldene Schallplatte?


L: (lacht) Die steht tatsächlich noch auf dem Boden, weil ich seither noch nicht den richtigen Bohrer gefunden habe, um sie an der Wand zu befestigen! Aber ehrlich gesagt, ist mir eine Schallplatte, ein Zeichen für Verkaufszahlen, gar nicht so wichtig, ich schau die jetzt nicht ständig an oder so… Ich hab mich natürlich sehr gefreut, als ich sie bekommen habe und hab sie auch sehr gerne ausgepackt, aber ich zieh da jetzt keine krasse Befriedigung draus, sie jeden Tag zu sehen. Es war eine sehr schöne Zeit, ich hab so viele tolle Erinnerungen z.B. auch an das Musikvideo, aber Verkaufszahlen an sich sind mir gar nicht so wichtig.

X: Max hat ja damals bei The Voice Of Germany teilgenommen, war das ein Thema für Dich, diesen Weg einzuschlagen?


L: Ich hab total Bock auf TV. Das ist mir gerade durch die abgeschlossene „Sing meinen Song“-Staffel wieder so richtig bewusst geworden, dass ich eben große Lust habe, mehr Zeit vor der Kamera zu verbringen. Und falls ich mal für eine Jury wie z.B. „The Voice Of Germany“ angefragt werden sollte, würde ich da auf jeden Fall gerne mitmachen!

X: Zum Abschluss die Frage nach den drei Wünschen von der berühmten Fee: Was würdest Du Dir wünschen?


L: Oh wow… (überlegt). Frieden – gerade in Zeiten wie jetzt. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen checken, wirklich verstehen, dass es an der Zeit ist, den Generationen nach uns eine bewohnbare Erde zu hinterlassen. Schritt Nummer drei wäre was Kleines, und das wäre eine Perspektivensache: und zwar der Blick auf die schönen Dinge im Leben! Und nach den Wünschen käme dann irgendwann ein guter Rotwein! (lacht)

X: Top! Dann wünsch ich Dir und uns, dass das alles möglichst bald wahr wird und bedanke mich für das Gespräch!


L: Tom, ich danke Dir, hat echt Spaß gemacht!


Mitmachen und Lotte live erleben!

Wir verlosen 6 x 2 Tickets für das Konzert mit Lotte, Lias und The Quips und Moritz Patzer am 23. Juli auf dem Festival Schloss Kapfenburg!

Schreibt uns einfach bis 8. Juli eine Mail mit eurer Adresse an aalen [bei] xaver [punkt] de mit dem Betreff "Lotte".


Text: Tom, Bild: Linda Ambrosius


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