Es geht um gute Musik! Ingo Hug

Ingo Hug, Vorstand des Kunterbunt e. V. und Initiator des aalenerjazzfest, spricht mit uns über drei Jahrzehnte Jazzfest, den ganz normalen Wahnsinn eines Festival-Bookers, als Pizzalieferanten getarnte Fans und was die Marke Jazz für ihn heute bedeutet.

XAVER: Hallo Herr Hug, das 30. aalenerjazzfest steht vor der Tür. Wie hat das denn damals angefangen?

Ingo Hug: Wir haben damals in Ellwangen den Kunterbunt e. V. gegründet. Wir waren sieben Studenten und sind häufiger zum North Sea Jazz Festival nach Den Haag gefahren und waren der Meinung, dass Jazz oder artverwandtes wie Blues, Soul, Funk zu der Zeit, Ende der 80er-Jahre, hier unterrepräsentiert war. Man muss zu siebt sein, um einen Verein zu gründen. Das haben wir gemacht. Wir hatten dann in Ellwangen eine Show mit Tânia Maria und stellten fest, dass uns Ellwangen aus verschiedenen Gründen zu klein geworden war, also verlegten wir den Vereinssitz nach Aalen und setzten 1991 mit Miles Davis relativ zügig ein Zeichen.

X: Miles Davis ist eines der Jazz-Urgesteine schlechthin. Wie haben Sie ihn denn nach Aalen geholt?

IH: Miles Davis war atypisch. Man hat es uns auch nicht geglaubt, dass er kommt. Aber er kam. Wir waren nicht ganz zu zwei Drittel ausverkauft. Normalerweise hat Miles zu der Zeit Hallen mit bis zu 4.000 Menschen gefüllt und wir hatten nur 1.600 Gäste, aber gleichwohl war er da und hat ein wunderbares Konzert gespielt. Ein paar Monate später ist er gestorben. Es war die letzte Möglichkeit, nicht wissentlich, and we did it. Seine Agentin für Deutschland, Österreich und die Schweiz war zu der Zeit dieselbe, die auch Tânia Maria unter Vertrag hatte. Die Gage war hoch, sehr hoch. Es war ein Risiko, ein sehr hohes Risiko und wir haben es uns aber getraut. Wir haben einen kleinen Verlust gemacht, hatten aber eine Person, die gesagt hat: „Macht es, wenn was hängenbleibt, übernehme ich das“, und er hat das dann auch übernommen und das Geld über die Zeit wieder zurückbekommen.

X: Das hat sich gelohnt. So einen Auftakt muss man erst einmal hinbekommen.

IH: Es war ein Zeichen. Viele waren dann auch etwas argwöhnisch und es ist natürlich auch so, dass wir es gewagt haben, „so jemanden“ hierher zu holen. Das durfte man vielleicht auch nicht. Wir haben es einfach gemacht, waren durchaus mutig, unbekümmert … frech.

X: Warum durfte man das nicht?

IH: Naja zu der Zeit waren diese „Local Heros“ noch stärker ausgeprägt und wie es eben so ist: Alles was von außen kommt, ist nicht gut, soll nicht sein, macht Angst.

X: Wie war die Resonanz nach diesem großen Konzert?

IH: Die war super. Die war großartig. Man hat sich auch über den Eintrittspreis beklagt. Das Ticket hat 65 Mark gekostet und war für die Verhältnisse hier in der Region sehr hoch, aber es war Miles Davis! Im Grunde wussten wir schon, obwohl wir nicht viel Erfahrung hatten, was wir tun.

X: Die fehlende Erfahrung kam dann bestimmt mit den folgenden Festivals.

IH: Ja, natürlich. Das ist so und nach mittlerweile 30 Jahren und hunderten von Acts steht das Netzwerk natürlich auch weltweit. Ich arbeite mit allen großen Agenturen dieser Welt, nicht nur im Jazzbereich, und das aalenerjazzfest kennt man beispielsweise auch in New York und ich habe sehr viele Freunde. Freunde gehabt, muss ich leider sagen, denn die sind eigentlich alle gestorben. Hiram Bullock war sechzehnmal hier auf dem Festival und ich war bei ihm in New York und Hiram war in den 80ern der Ur-Gitarrist der Letterman-Band (Late Show with David Letterman auf dem US-amerikanischen Sender NBC, Anm. d. Red.) und wenn jemand eine Gitarre brauchte, dann hat er Hiram geholt. Der hat jeden Tag in New York bis zu 7.000 Dollar verdient, weil er zu der Zeit für große Firmen noch Jingles eingespielt hat. Hiram ist leider gestorben, gleiches gilt für Roy Hargrove, der auch auf meiner Hochzeit gespielt hat und sicher in vielerlei Hinsicht der Einzige war, der Miles Davis nachfolgen konnte. Roy war weltweit famous mit ganz vielen Projekten vom Jazz-, Soul- und Funk-Quintett bis zu einem Afro-Cuban-Projekt. Ich habe auch nach wie vor zu wahnsinnig vielen Musikern direkten Kontakt. Natürlich hat sich die Szenerie verändert. Früher hat man mit Agenten gearbeitet. Das tut man heute auch, aber das Geschäft ist kleinteiliger geworden. Es sind weniger Agencies, die immer kräftiger und mächtiger sind. Von daher ist es nicht leichter geworden, aber schwer ist leicht was und mit 30 Jahren Erfahrung auf dem Buckel kriegt man nach wie vor Dinge hin, die ein Neuling in der Branche vielleicht nicht schaffen könnte.

X: Wie hat sich eigentlich Ihre Leidenschaft für Jazz entwickelt?

IH: Ich spiele kein Instrument, aber ich kann Musik gut fühlen. Jazz ist nur ein Begriff. Es geht um gute Musik und das ist ein breites Spektrum. Ich höre auch viel elektronische Musik. Ich höre ALLES – wobei, vielleicht doch nicht alles. Es gibt Grenzen (lacht). Aber ich bin nach wie vor interessiert und wenn mich etwas berührt, dann berührt es mich und wenn es gut ist, ist es gut. So eine Band wie MEUTE ist ja zum Beispiel auch universell. Das lässt sich schwer kategorisieren.

X: Ist der Name „Jazzfest“ dann nur noch ein Label?

IH: Das ist lange reflektiert. Im Grunde hätte ich kein Problem damit, den Brand zu ändern, aber so einen Brand zu ändern, ist schwierig. Das beherbergt sehr viele Dinge und warum sollten wir Jazz streichen? Ich meine, Jazz lässt sich gut verkaufen: als Lifestyle, Parfüm, Automodell. Aber als Musik ist es schwierig. Es gibt immer mehr sehr junge, gut ausgebildete Jazzmusiker. Bringt aber alles nichts, denn die haben vergessen, dafür zu sorgen, dass die Kids, also Gleichaltrige, zu den Konzerten kommen und deren Platten kaufen. Von daher bilden wir zu viele Jazzmusiker aus, denen keiner sagt, dass sie arbeitslos sind.

X: Wenn Sie schon die Jugend ansprechen … reduzierte Tagestickets gibt es für Gäste von 16 bis 29 Jahren für 25 Euro. Aber wie kann sich die Jugend beim aalenerjazzfest ganz konkret einbringen?

IH: Durch alles. Durch die Mitarbeit in allen Bereichen des Vereins: im Social-Media-Bereich, als Stagehand oder in der Künstlerbetreuung, als Fahrer - da gibt es wahnsinnig viel. Das Programm muss allerdings einer allein machen, denn eine Abstimmung führt zu nichts und so ein Festival-Booking ist relativ vielteilig. Ich muss wissen, was könnte zu was passen und das muss ich auch fühlen. Dann muss ich wissen, was ist verfügbar und was ist vom Budget her möglich. Das sind viele kleine Steinchen, die zusammen ein Bild ergeben.

X: Was muss eine Band mitbringen, damit Sie für das aalenerjazzfest gebucht wird?

IH: Sie muss in der Lage sein, das Publikum, das vor der Bühne steht, abzuholen. Natürlich durch Qualität, aber auch durch viele andere Dinge. Da gibt es keinen Parameter, der allgültig ist. Das ist sehr unterschiedlich. Wir verlieren auch Besucher, z. B. den 68-jährigen Sozialpädagogen, der ganz anders musikalisch sozialisiert ist und vielleicht auch gar keinen Bock mehr auf das Festival hat. Der das hören will, was er vor 30 Jahren gehört hat und das bei uns nicht mehr findet. Das ist der Preis. Aber wir könnten die Sache einstampfen, denn solche Konzerte für solche Menschen kann man dann im Wohnzimmer machen. Mir geht es darum, dass junge Menschen, was auch immer jung sein mag, Zugang finden können. Ob das immer funktioniert, sei dahingestellt, aber es ist wichtig, um Festivals eine Zukunft zu lassen.

X: Gibt es Erinnerungen an das aalenerjazzfest, die sich bei Ihnen eingebrannt haben und Momente, die Sie nie mehr vergessen werden?

IH: Ja, ich habe 1997 die erste Show mit Van Morrison in Deutschland gemacht. Er war Special Guest bei Candy Dulfer für 45 Minuten und ich hatte ihn in Wales einen Learjet gechartert, und er hatte selber zwei, letztlich wollte er das Ding nicht machen und er hat immer weiter gesucht, wie er es verhindern kann. Der Transport zum Venue (engl. Veranstaltungsort, Anm. d. Red.) durfte allerdings nur eine Stunde dauern und ich war dann soweit, dass ich noch einen Hubschrauber von Stuttgart hierher organisiert hatte. Dass war mir dann auch egal und als er schließlich ankam, war er vollkommen zahm. Am gleichen Tag gab es einen Kollegen, der mit einem gefälschten Schreiben und einer Gitarre Backstage in der Stadthalle ankam und meinte, er spiele in der Band von Van Morrison. Aber Van hatte keine Band dabei. Wir haben ihn nach draußen gebeten und abends ist er dann mit einer Pizzaschachtel vorne rein und meinte, er müsste für VIPs Pizza liefern. Er kam bis auf die Empore und dann habe ich ihn drin gelassen, denn das fand ich schon ziemlich gut (lacht). Er hat hart gearbeitet und Kreativität wird bei uns belohnt.

X: Um jetzt noch einmal den Bogen über die letzten 30 Jahre zu spannen: Was waren denn die größten Herausforderungen beim ersten Jazzfest 1992?

IH: Wir waren erfahrungslos. Uns sagten zwei Headliner ab und dann hatte ich z. B. Mario Bauzá, den „Mambo-King“, mit seinen 30 Kubanern samt Überseekoffern da und habe damals den Fahrdienst noch selbst gemacht und vier Tage gar nicht mehr geschlafen. Wir hatten am Ende des Tages ein richtiges Defizit. Das war aber nicht schlimm, denn ein paar Wochen später spielte Fats Domino, der gerade seinen Aral-Hit „I’m walkin“ rausgebracht hatte, und da waren wir ausverkauft. Ein anderes Problem war, für schwarze Musiker im Ellwanger Raum Hotels zu finden.

X: Zum Glück hat sich das in den letzten 30 Jahren verändert. Hat sich auch das Publikum verändert?

IH: Die Menschen haben sich verändert und unser Publikum ist im Schnitt jünger geworden. Das ist gut für die Sache.

X: Wofür steht das aalenerjazzfest heute?

IH: Das aalenerjazzfest ist gut für Menschen vor, auf und hinter der Bühne. Wir sind gut zu Musikern. Wir sind gut zum Publikum.

X: Zum Abschluss unseres Interviews darf in keinem Xaver die berühmte Frage nach Ihren drei Wünschen fehlen. Was würden Sie sich von der guten Fee wünschen?

IH: Im Grunde kann ich nur ein Wort dreimal wiederholen: Gesundheit. Gesundheit. Gesundheit. Alles andere resultiert daraus.


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