Dr. Bademeister auf Exkursion
Die Thüringer Heaven Shall Burn gehören längst zu den größten und relevantesten Bands im nationalen, aber durchaus auch internationalen Metal. Sie sind im Sommer nicht nur einer der Headliner beim Summer Breeze-Festival, sondern spielen auch auf großen Festivals in Finnland, der Schweiz, Belgien, Schweden, Frankreich, Spanien, Tschechien und den Niederlanden. Ihr aktuelles Album „Of Truth And Sacrifice“ schaffte es auf Platz 1 in den Albumcharts und hielt sich insgesamt sogar zehn Wochen in den Charts. Ihr Gitarrist Maik Weichert, geboren 1977, ist nicht nur das Sprachrohr der Band, sondern auch promovierter Rechtswissenschaftler. Beim unterhaltsamen Telefonat während ihrer kurzen Tour Ende Mai stand aber nur sein musikalisches Schaff en im Vordergrund…
Maik Weichert: Naja, man kann ja viel über die Gegend hier am Bodensee sagen, aber nicht, dass es da nicht schön ist! Wir spielen heuten Abend in Lindau und ich hab gerade ein paar Runden in der Therme hier gedreht und laufe jetzt gemütlich zurück zum Tourbus.
MW: Ja, das darfst Du jetzt nicht allzu akademisch sehen; man hatte ja beispielsweise in der Schule früher auch Exkursionen und da stand ja auch nicht der wissenschaftliche Zweck im Vordergrund, sondern das gemeinsame Erlebnis. Wir meinten das also eher so Klassenfahrt-mäßig, aber das klingt nicht ganz so plakativ. Und Neuland Exkursion deswegen, weil wir mal Clubs abklappern, die legendär sind und in denen wir immer mal spielen wollten, es seither aber noch nicht geschafft haben.
MW: Klingt irgendwie unglaublich, ja, aber ist Tatsache! Und Du kennst das ja auch, wenn man Musikfan ist, dann hat man Shirts, auf denen dann bei den Tourdaten immer wieder Rostock M.A.U. Club, Bremen Schlachthof oder Lindau Club Vaudeville auftauchen. Es gibt halt einfach so ein paar Clubs in Europa, da muss man mal gewesen sein!
MW: Wir haben ja keine Pre-Production für Rostock oder die anderen Dates der Kurztour gemacht, in Wien gings um die Vorbereitung auf die anstehenden europäischen Festivalauftritte. Wir haben das im Wiener Gasometer, einer sehr großen Halle, in die über 4000 Zuschauer reinpassen, gemacht. Und da hat es eben auch eine entsprechend große Bühne, so dass man da auch für die Festivals mal eine Bühnenshow mit allem Drum und Dran aufbauen und samt Pyros austesten kann. Das ist wichtig für die Produktionslogistik und für die „Topographie“ auf der Bühne, um sich da als Band auf der Bühne zurechtzufinden. Und die Clubtour jetzt war wichtig, damit man sich spielerisch wieder aufeinander einschießt. Und weil unser Lichtmann in Wien wohnt und der auch die Unmengen an Material koordiniert, die man für so eine große Festivalshow braucht, war es tatsächlich günstiger und schneller, die Band nach Wien zum Material zu bringen, als das Material zur Band!
MW: Naja, ich glaube, ich verrate da kein Geheimnis, dass wir in Finnland, wo wir kein Headliner sind, nicht so ein Fass aufmachen, wie z.B. beim Summer Breeze. Das ist in Finnland eine deutlich abgespecktere Produktion, mit Sachen, die man durchaus auch in Fluggepäck-Dimensionen darstellen kann.
MW: Ja, klar, absolut! In unserer Bandgeschichte war es eben genau so, dass wir wahnsinnig große Fortschritte gemacht haben, und es auch Milestones in der Bandgeschichte waren, wenn wir von größeren Bands mal protegiert wurden. Und Du kannst Dir bestimmt vorstellen, wie das für uns war, als es uns die Veranstalter des With Full Force- Festivals ermöglicht haben, bei einer Clubshow von Bolt Thrower im Vorprogramm zu spielen!? Eine unserer All Time Favorite-Bands! Da ist man mit zitternden Händen hingefahren und hat die Chance wahrgenommen. Und weil uns das eben so weitergebracht hat, möchten wir solche Möglichkeiten an heutige Nachwuchsbands weiterreichen. Und solche Bands haben gerade eine echt beschissene Phase hinter sich. Bei unserer Show in Wien hatten wir eine Band, die so zwischen 17 und 19 Jahre alt waren und nach der Bandgründung zwei Jahre lang überhaupt keine Möglichkeit hatten, mal irgendwo ne Show zu spielen – das muss man sich mal vorstellen!
MW: Es war tatsächlich so, dass sich jeder eine der fünf Städte ausgesucht hat. Molle (Sänger Marcus Bischoff – Anmerk. D. Verf.) hatte Bock, Salzburg zu machen, ich hab Rostock übernommen und so hat sich jeder durch die jeweiligen Bewerbungen durchgehört und seinen Favoriten gekürt. Impericon, unser Partner bei dem Contest, hatte da schon entsprechende Vorarbeit geleistet und Excel-Tabellen mit Links zu den Songs vorbereitet. Das war auch supercool, auf dem Wege neue Musik zu entdecken! Und es war auch ganz wenig „Schrapel“ dabei!
MW: (lacht) Ach, das ist… Du kennst das doch von anderen Bands, auf der einen Seite steht die Unterschrift und auf der anderen sind dann entweder das Bandlogo oder irgendwelche Symbole wie Totems, Kreuze oder was auch immer abgebildet. Und ich hab eben nach etwas gesucht, das irgendwie eine Respektsperson ist und hatte zu der Zeit auch gerade meine silberne Rettungsschwimmer-Ausbildung abgeschlossen und da passte das dann ganz gut; der Bademeister ist eben der Chef im Ring! (lacht)
MW: Ja, auf jeden Fall. Die Shows im November konnten wir gerade so spielen, bevor dann der nächste Lockdown kam. Dahat man bei allen Beteiligten doch deutlich mehr Verunsicherung gespürt als jetzt. Die Leute waren da viel disziplinierter und es ging auch am Merchstand alles etwas geordneter zu. Mittlerweile hab ich eigentlich nicht mehr den Eindruck, dass da jetzt ein Unterschied zu von vor drei Jahren besteht. Man sieht auch nur noch ganz vereinzelt Leute mit Maske, das waren im November deutlich mehr. Wie’s dann im Herbst wird, weiß nur das Virus. Aber da muss man sich dann eben auch wieder entsprechend verantwortungsvoll verhalten.
MW: Das ist für uns im Moment nicht denkbar, dass wir im Oktober dort auftreten. Wir haben auch schon diskutiert, ob wir die Shows da noch listen sollen oder nicht, aber wir hatten auch viel Kontakt mit russischen Fans, die die ganze Situation genauso beschissen finden wie wir. Die eben auch Verwandte und/oder Bekannte in der Ukraine haben… man muss sich das Ganze ja vorstellen, als ob Deutschland in Österreich einmarschiert, so enge Verbindungen sind das. Und als kleines Hoffnungszeichen für die russischen Fans haben wir die Shows noch nicht rausgenommen, aber um niemanden zu irritieren, werden wir die wohl dann doch bald runternehmen. Wir haben in der Vergangenheit ja auch bewusst nie z.B. in Weißrussland gespielt, weil da eben ein Regime herrschte, mit dem man nicht allzu viel tun haben wollte. Wobei der kulturelle Austausch ja seit jeher das erste Mittel war, um verhärtete Fronten wieder aufzubrechen… irgendwann wird der kulturelle und wissenschaftliche Austausch in die Richtung wieder in Gang kommen! Um dann eben auch die vielen unterstützenswerten Leute, die eine friedvolle, kosmopolitische Vision von Russland haben, zu unterstützen und nicht versauern zu lassen.
MW: Da kann ich mich sogar noch ganz genau dran erinnern! Da waren damals – zumindest gefühlte – 40° C im Schatten und ich hatte an dem Tag ganz dünne Turnschuhe an. Und das war dann die wohl bewegungsintensivste Show meines Lebens, einfach weil der Bühnenboden sich durch die Sonne so aufgeheizt hatte, dass ich nicht länger als fünf Sekunden an einer Stelle stehen konnte! Ich kann mich auch noch an eine Winterausgabe an selber Stelle erinnern, wo wir damals nach Volbeat auf die Bühne gegangen sind, die ja mittlerweile weltweit in riesigen Arenen spielen – aber damals haben sie noch vor uns gespielt! Das spielt in unserer Erinnerung also immer noch eine große Rolle. Auch weil das Summer Breeze eines der ersten großen Festivals außerhalb unserer Heimatregion war, das uns eine Chance gegeben hat dort zu spielen.
MW: Wir arbeiten ja ständig an neuem Material. Das ist bei uns also auch nicht in Phasen eingeteilt, wo wir uns sagen „OK, jetzt schreiben wir ne neue Platte!“. Aber wir haben während Corona jetzt nicht auf ein neues Album hingearbeitet, denn wir haben ja erst im März 2020 dieses Doppelalbum „Of Truth And Sacrifice“ in den Raum gestellt, das in unserer Bandgeschichte ja schon so ne Art Monolith ist – wobei die Frage ist, ob ein Doppelalbum monolithisch sein kann? (lacht) – Jedenfalls ist das ein Brocken, der jetzt mal ein paar Jahre vorhalten muss. Im Moment ist also am Horizont noch nicht erkennbar, wann wir dann die nächste Platte hinterherschieben. Uns ist aber durchaus bewusst, dass wir da richtig Glück hatten, dass wir das Album kurz vor Beginn der Pandemie noch veröffentlichen konnten und dass das auch so gut bei den Leuten angekommen ist. In den Folgemonaten war es für die Bands ja extrem schwierig zu entscheiden, wann das nächste Album erscheinen soll und da ist mittlerweile bei den Labels auch ein riesiger Stau an Veröffentlichungen aufgelaufen; da sind wir schon froh, dass wir das noch vor der Pandemie geschafft haben!
MW: Naja, wir schielen schon auf die Festivalsaison 23/24, außerdem werden auch Übersee- Tourpläne erörtert oder auch Festivals dort oder auch in Asien. Aber neben der großen Europa-Tour mit Trivium, die 29 Dates und auch fette, weitere Supportbands haben wird, planen wir da aktuell nichts.
MW: Nachdem ich eben im Wildwasserkanal mein Haargummi verloren habe, wäre das mein erster Wunsch. Dann natürlich Gesundheit für mich und meine Lieben und dann bliebe noch die Sache mit dem Weltfrieden, dann wäre an sich alles gut! Aber Moment, hätte ich vier Wünsche, dann wäre noch eine Nacht im Archiv des Vatikans dabei, das wäre auf jeden Fall sehr interessant… ich tausche also den Haargummi gegen das Vatikan- Archiv!