Thüringisch in homöopathischen Dosen: Heaven Shall Burn
Die deutsche Metalcore-Band Heaven Shall Burn hat es über die letzten 20 Jahre vom Jugendzentrum als Headliner auf die ganz großen Festivalbühnen geschafft und ist auch international sehr aktiv. Neben der Musik hat die Band auch sonst viel zu sagen: Sie sind bekennende Veganer/Vegetarier, engagieren sich für die Umwelt und halten auch mit ihrer politischen Meinung nicht hinterm Berg. Auch wenn das komisch klingt, machen sie die Musik eben nicht hauptberuflich und sind somit auch nicht gezwungen Gewinnmaximierung zu betreiben, um ihr Auskommen zu sichern. Mitte September erscheint das neue Album „Wanderer“ und begleitend spielt die Band eine kleine Club-Tour. Grund genug für ein interessantes Gespräch mit dem sympathischen Gitarristen und Sprachrohr der Band, Maik Weichert.
Maik Weichert: Nee. Ich sage mal, da waren bei uns im Labor von 100 Reagenzgläsern vielleicht zwei mit einer Sache gefüllt gewesen, wo wir nicht wussten, was dabei herauskommt. Wir haben ja schon immer mal was Neues auf den Platten, aber doch eher so in homöopathischen Dosen.
MW: Unser Alex ist ein riesengroßer Grunge-Fan - der wohl größte Fan der Smashing Pumpkins, den ich kenne. Andere in der Band, wie Christian oder Eric, hören wirklich am liebsten brutalen Death Metal, wobei ich weiß, dass die auch Sigur Rós-CDs daheim haben. Da gibt es echt nur gute oder schlechte Musik, das Genre ist an sich egal. Meine Freundin ist ein sehr großer Ballett-Fan und je öfter ich mit ihr unterwegs bin, umso mehr Spaß macht das dann auch, wenn man so ein bisschen Ahnung davon bekommt und abschätzen kann, wie gut das Orchester und die Tänzer sind.
MW: Das ist schwer zu sagen, weil ich ja nur die mitbekomme, die sich dann bei mir melden und es lässt sich ja schlecht eine Hochrechnung darauf basieren. Es sind auf jeden Fall immer mehr Leute, als man erwartet. Ich hätte aber nie gedacht, dass man mit den Texten Leute so erreichen kann. Es melden sich ganz oft Schüler, weil sie im Deutsch- oder Geschichtsunterricht ein Referat halten müssen, zu dem wir sie inspiriert haben.
MW: Naja, das muss es auch geben in der Musik und in der Kunst, es soll ja unterhaltend sein. Aber wir machen nun mal keine Unterhaltungsmusik. Wir liefern politische Statements, wir liefern eine Haltung und ich denke, das weiß mittlerweile jeder. Da brauchen wir auch nicht drum herum reden und irgendwelche kommerziellen Erwägungen mit einfließen lassen. Wenn unser Protestpotenzial ausgeschöpft wäre und wir wirklich nur noch Mainstreamleute zusätzlich bringen können, dadurch, dass wir seichter werden, da haben wir keinen Bock drauf.
MW: Ja klar, das schon. Aber man muss da auch so ein bisschen differenzieren. Natürlich gibt es die klassischen Metalfestivals wie Summer Breeze, PartySan, Wacken und das Rock Hard Festival. Aber es gibt eben auch eine völlig neue Generation von Musikfans, die wollen es einfach nur krass. Denen ist es egal, ob da K.I.Z. oder Heaven Shall Burn auf der Bühne stehen und eine Show abziehen. Festivals, die stilistisch also gar nicht so sehr festgelegt sind, da wird dann Marteria genauso gefeiert wie Hatebreed. Man kann bei Impericon ja auch nicht umsonst die neue Casper-Platte vorbestellen. Dieses Reinheitsgebot verwässert also immer mehr.
MW: Das war dieses Mal so, dass ich irgendwann diesen Faden gefunden habe, den ich dann verfolgte und sich dabei alles Weitere aufgetan hat. Ich bin ja oft in Island und habe da viele Freunde. Das ist so mein Sehnsuchtsort, wo ich einfach gerne bin. Ich habe da viel Inspiration gefunden. Es gibt z.B. diesen Song auf dem neuen Album „They Shall Not Pass“, da gibt es eine Textzeile „no light of dawn shall fall upon the false red flags“ und die fiel mir bei so einer Situation mit der roten Sonne in Island ein. Ich dachte, dass es doch cool wäre, wenn ich jetzt einen Foto hätte und dieses Bild direkt bei der Textzeile im Booklet auftauchen würde. Das war also die Grundidee. Wir haben dann unseren Haus- und Hoffotografen Christian Thiele mit dem Auftrag hingeschickt, bestimmte Orte einzufangen. Und da sind wunderschöne Bilder dabei herausgekommen, die die Platte gestalten. Dass man eben nicht immer nur das Schlachtfeld, den Angriff und die Diskussion in der man sich befindet, sondern auch mal die Situation davor, wenn man seine Gedanken ordnet und irgendwo Ruhe und Inspiration findet, schildert. Die Ruhe vor dem Sturm also. Wenn man heute den ganzen Wahnsinn in der Tagesschau sieht, dann wäre man oft doch einfach lieber in einer heißen Quelle in Island.
MW: (lacht) Ja, genau deshalb haben wir keinen Artikel davor gesetzt, damit das so ein bisschen offen ist.
MW: Hallo? (lacht) Wir sind aus Thüringen, und wenn wir schon kein Fleisch essen, dann müssen wir wenigstens wandern, sonst ist es gar nix mit thüringischen Kernkompetenzen! Aber Du hast schon recht, im Englischen schwingen da noch viel mehr Sachen mit. Wir sprechen es auch so aus, denn es sollte eher dieses Reisender - Suchender, dieses Eskapistische mitschwingen. Wir haben aber auch nix gegen Landidylle, solange das nicht nationalistisch überfärbt ist, ist das alles cool.
MW: Ja, der hatte damals relativ heftige Rückenprobleme und sich dann aus der, sagen wir mal „Leistungssportklasse“ zurückgezogen. Auf dem letzten Album hat ja dann Daniel Wilding, der Carcass-Drummer, gespielt.
MW: Wir haben das eigentlich schon oft vorgehabt, aber es ist eben recht schwer eine coole Amitour zu finden, die dann nicht gleich acht Wochen läuft. Das bekommen wir zeitmäßig nicht hin. Wahrscheinlich wird es irgendwann so sein, dass wir einfach mal in die Bandkasse greifen und für unsere dortigen Fans eine Tour auf die Beine stellen, bei der wir wahnsinnig Minus machen.
MW: Genau. Und das ist mit unserem Erfolg in Deutschland ja auch leichter geworden. Heute reicht es, ein großes Festival zu spielen, um einen guten Wasserstand in der Bandkasse zu haben - früher waren da eher zehn nötig. Die Leute richten sich hier nach uns, wir müssen keine Touren mehr zum Aufspringen suchen und können selbst eine Tour planen und uns andere Bands aussuchen, die mitfahren. Ansonsten werden wir wohl erst im nächsten Jahr eine Hallentour in Deutschland machen und Ende des Jahres in Südamerika und vielleicht Asien aufschlagen.
MW: Ich habe bis Mai noch mein Referendariat und somit mein zweites Examen gemacht. Vorher hätte ich ja auch gar kein Anwalt sein können, weil ich noch kein Volljurist war. Nach dem ersten Examen habe ich ein bisschen auf der Uni „abgeschimmelt“ und dann drei weitere Jahre fürs zweite Examen gebraucht. Und nach dem zweiten Examen dann „Wanderer“ in Angriff genommen.
MW: Ach, ich bin erst 38, also noch recht jung, ich kann mir nicht vorstellen, jetzt arbeiten zu gehen - ich denke, ich werde noch etwas anderes studieren. Ich genieße das Glück, durch die Band relativ finanzielle Freiheiten zu haben. In Sachen Jura macht mir der Bereich Verfassungsrecht und Forschung Spaß, ich sehe mich weniger als Anwalt.
MW: Wir sind da immer noch dabei. Allerdings nicht mehr vorne drauf auf dem Trikot, sondern jetzt auf dem Ärmel und natürlich weiterhin im Stadion auf den Banden. Das war auch so geplant, weil wir ja einen Anstoß in der Region geben wollten, sich da mal zu engagieren. Und es haben sich daraufhin auch etliche Sponsoren gemeldet, die jetzt vorne auf dem Trikot aktiv werden.
MW: Das ist mit Sicherheit so. Als wir vor Kurzem ein Festival in Barcelona gespielt haben, waren da bei einer Autogrammstunde mehrere spanische Fans im Carl Zeiss Jena-Trikot vor Ort und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich da noch jemand dran erinnert, dass unser Verein in den 80ern mal Atlético Madrid aus dem Europapokal geschmissen hat! (lacht)
MW: Ja, mit denen arbeiten wir immer noch zusammen, wir machen viele Benefizshirts und reichen auch so immer wieder Geld durch. Wir haben wirklich gute Freunde, die auf den Sea Shepherd-Schiffen mitfahren, die wir schon vorher übers Musikmachen kennengelernt haben. Der Bootsmann der „Sam Simon“ hat früher z.B. bei einer italienischen Hardcore-Band gespielt.
MW: Das weiß ich gar nicht so genau, ich habe da keine gesicherte Datengrundlage. Aber zum Thema Modeerscheinung ist mir kürzlich auf einer Party etwas Amüsantes passiert. Ich stand da so herum und irgendwann fiel auf, dass ich trotz Thüringer so gar keine Bratwürste esse. Als ich dann sagte, dass ich seit 20 Jahren Veganer bin, meinte eine ganz hippe Tussi: „Wie - seit 20 Jahren, das gibt es doch erst seit drei, vier Jahren!?“ Und ich habe ja nun wirklich eine große Klappe, aber da wusste ich erst mal nicht, was ich darauf antworten sollte! Dass der Fleischkonsum weiter steigt, hat bestimmt auch etwas damit zu tun, dass Fleisch immer billiger wird. Wenn man da die Folgekosten im Bereich Umwelt und Gesundheit mit reinkalkulieren würde, müsste das wesentlich teurer verkauft werden. Aber das machen wir beim Atomstrom ja auch so, dass wir da eventuelle Folgekosten eben nicht mit reinrechnen.
MW: Da haste recht, unfassbar. Sehr beängstigend, dass da manche Leute wieder in dieses Gleichgewicht des Schreckens zurück wollen. Hat wohl aber auch nostalgische Gründe, weil die in der Zeit auch wahnsinnige Gewinne gemacht haben.
MW: Das war ausgerechnet eine Deluxe Edition von Frei.Wild!
MW: Das war aber mit dem Album gar nicht das Ziel und das mussten wir auch unserer Plattenfirma erst mal verdeutlichen. Wenn es so kommen sollte, ist das natürlich toll, aber wir haben dieses Mal weder die Produkte noch die Kampagne darauf angelegt.
MW: Danke gleichfalls!