Selfmade-Hassias und Spontan-Punk: Serdar Somuncu

Serdar Somuncu wurde 1968 geboren und die meisten Leute kennen ihn als Kabarettisten zum Beispiel in der „heute-show“. Er hat Musik, Schauspiel und Regie in Maastricht und Wuppertal studiert, mehr als 100 Theaterstücke inszeniert, mehrere Bücher und Alben veröffentlicht und war 2016 sogar Kanzlerkandidat der Partei Die Partei. Und zudem ist er auch als Synchronsprecher und Schauspieler aktiv. Ein sehr ruhiger, besonnener Gesprächspartner und ein derart talentierter und kreativer Mensch, dass man gerne deutlich länger mit ihm gesprochen hätte. Anlass fürs Telefonat war sein neues Album. Auf den Bühnen dieses Landes kann man ihn dann 2020 gleich mehrfach sehen, einmal mit seinem Kabarett-Programm und dann mit seiner Band.

XAVER: Serdar, Kabarettist, Autor, Musiker, Regisseur und Politiker steht im Beipackzettel der neuen CD. Was bringt die Zukunft für den Künstler Serdar Somuncu. Malerei? Landart? Schafzucht?

Serdar Somuncu: Och, mal abwarten. Vielleicht ist das eine gute Idee. Aber prinzipiell weiß ich selbst nicht, was auf mich zukommt. Ich habe das Glück, das ich das, was da ist, nutzen kann. Mir ist das weniger bewusst, als den Leuten, die darüber schreiben. Und wenn ich’s lese, dann kommt’s mir auch immer wieder fast schon angeberisch vor, aber es ist nun mal so, was soll ich machen? Ich habe halt einige Talente und die nutze ich, so gut ich kann.
X: Ich frage mich, wie du das kanalisierst? Bist du so ein disziplinierter und organisierter Typ, der einen ausgefeilten Masterplan hat und genau weiß, was er wann wofür macht, oder ist das eher so intuitiv gesteuert?

SS: Das ist intuitiv. Es ist so, dass man schon merkt, kurz bevor es losgeht, dass da was ansteht. Aber meist sucht sich das auch seinen eigenen Weg. Als ich jetzt zum Beispiel dieses Album gemacht habe, war das klar, dass das Musik sein wird. Diese intensive Art, Geschichten zu erzählen, diese intensive und fast schon intime Art, etwas zu erzählen, das geht auf einer Kabarett-Bühne nicht. Und so ist das mit den anderen Dingen auch. Wenn ich auf der Kabarett-Bühne stehe und Rollen spiele, die extrem sind, dann passen die nicht so ins Musik-Format beziehungsweise mir fällt dazu nicht die Musik ein. Also, intuitiv und vor allem immer nacheinander; nur ganz selten parallel.
X: Das heißt, wenn du mit einem Kabarettprogramm auf Tour bist, dann kommt es auch nicht vor, dass du nachts im Hotel eine tolle Idee oder einen Refrain für den nächsten Song dokumentierst und dann in die Schublade packst?

SS: Komischerweise nicht. Ich bin zwar immer mit den unterschiedlichsten Bereichen beschäftigt, aber ich konzentriere mich dann doch immer auf den jeweiligen Moment und auf das, was ich im Moment mache. Und da wird es fast unmöglich, parallel zu arbeiten, weil dann die Sprache und der Tonfall eben auch sehr ähnlich werden. Also wenn ich jetzt als Hassias auf der Bühne stehe und parallel dazu ein Musikalbum machen würde, dann schätze ich, wäre da nicht viel Unterschied.

X: Dein neues Album erscheint bei Arising Empire, einem Unterlabel von Nuclear Blast. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

SS: (lacht) Ja, das ist ein Metallabel. Aber das heißt ja nicht, dass die ausschließlich Metal machen; Madsen sind da ja auch unter Vertrag … Das kam durch den Chef des Labels, Markus Staiger, zustande. Der hat gefragt, ob wir nicht zusammenarbeiten wollen. Das fand ich sehr spannend, weil ja auch die Musik, die ich mache, nicht festgelegt und sehr variabel ist. Das ist ein anerkanntes und gutes Label, das sehr gute Arbeit macht und da machen wir dann auch keine Unterschiede und sind picky. Unser vorheriges Label Groove Attack war ein Hip-Hop-Label, aber das ist ja keine Pflicht, dass man da im gleichen Segment bleibt. So ein Wechsel ist auch gut, weil da noch mal frischer Wind in die Zusammenarbeit kommt. Beide Seiten sind sehr zufrieden damit, was bisher passiert ist und wir versprechen uns auch für die Zukunft noch so einiges.

X: „Allesamt selbst geschrieben und eingespielt“, verrät die Albuminfo. Das ist ja fast schon Prince-like. Ich vermute, das Schlagzeug haste programmiert?

SS: Nee, gerade das nicht. Das Schlagzeug ist mein Hauptinstrument. Es gibt sogar ein Schlagzeugsolo auf dem Album – also bitteschön!
X: Sehr schön. Ich dachte nur, weil das heute ja auch oft aus wirtschaftlichen Gründen gemacht wird. Mittlerweile muss man ja auch ganz genau hinhören, um zu erkennen, ob es sich da jetzt um ein eingespieltes oder programmiertes Schlagzeug handelt.

SS: Ja, stimmt auch wieder. Aber ich höre das und finde es auch immer nervig, weil da keine Maschine einen Menschen ersetzen kann. Und ich habe tatsächlich alles selbst eingespielt. Aber nicht, um damit anzugeben, sondern weil es einfach schneller geht. Ich muss dann keine Leute besorgen und denen erst lange erklären, was ich will. Ich habe das Glück, dass ich das, was ich will, auch selbst umsetzen kann. In manchen Instrumenten bin ich besser, in manchen auch nicht gar so virtuos wie in meinem Hauptinstrument, dem Schlagzeug. Gitarre und Bass geht auch noch ganz gut. Aber ich habe jetzt fürs Album zum Beispiel Mandoline und Banjo gespielt. Und das war das erste Mal, das ich überhaupt ein Banjo in der Hand hatte. Da musste ich mich also erst mal reindenken. Wenn man aber die Grundprinzipien verstanden hat, dann geht das. Bei einer Oboe zum Beispiel würde mir der Ansatz fehlen; das ist ein Holzblasinstrument mit einem Doppelrohr, da muss man eine unheimlich gute Anspannung im Mund haben, das kann man nicht einfach so eben mal machen. Posaune würde wohl klappen, das ist nicht so schwer; ich hätte danach wohl ’nen tauben Mund. Also, es ist eine große Bandbreite an Möglichkeiten da und für das Album reicht es allemal. Wir haben auf dem Album vieles so gelassen, wie es ist. Wir haben zum Beispiel die Stimmen nicht korrigiert, es sei denn, wir wollten absichtlich den Autotune-Effekt einsetzen – das ist ja bei den Trap-Nummern sehr deutlich. Wer jetzt aber denkt, wir hätten den Effekt eingesetzt, um meine Stimme zu verbessern, denkt falsch. Ich kann besser singen als das Autotune, aber das ist eben jetzt in Zeiten von Capital Bra und Mero ein Stilmittel. Ansonsten ist aber sehr vieles analog.
X: Gerade der Slap-Bass bei „Baby bleib hier“ hat mich beeindruckt – Respekt! Verbringst du denn dann viel Zeit mit Üben, oder ist das – wie Radfahren – einmal gekonnt, nie mehr verlernt?

SS: Ich habe tatsächlich ein kleines Studio bei mir und da sind auch die ganzen Instrumente da. Ich übe immer so in Vierteln. Es geht los mit 60 bis 90 Minuten Schlagzeug. Danach ein bisschen Klavier, Gitarre und dann Bass. Das ist wichtig, um warm zu bleiben und die Fingerfertigkeit zu behalten. Bei den dicken Basssaiten zum Beispiel bekommt man beim regelmäßigen Spielen eine Hornhaut auf den Fingern. Wenn man das im Studio ohne Übung machen würde, hätte man innerhalb kürzester Zeit Blasen an den Fingern.

X: Das Album ist gerade erschienen, die nächsten Termine, die ich gefunden habe, sind aber erst im Februar, wo du wieder als Hassias auf die Bühne zurückkehrst. Gibt es keine Tour zum Album?

SS: Wir hatten gerade ein Release-Konzert in Potsdam. Aber es ist leider beziehungsweise Gott sei Dank so, dass die Musiker der Band sehr, sehr beschäftigt sind. Martin Ziaja ist musikalischer Direktor bei The Voice of Germany und bei Michelle, war gerade mit Vanessa Mai und Stephanie Heinzmann auf Tour. Deswegen haben wir mit der Band erst im Herbst 2020 die Möglichkeit, zu touren. Normalerweise, wenn man Promo für ein Album macht, sollte das etwas zeitnaher sein, aber das Album ist ja sowieso nicht darauf ausgelegt, ein Chartbreaker zu werden. Alles, was ich mache, hält sich ja immer sehr langfristig, die anderen Alben liefen auch über eine lange Zeit. Und meine Leute, respektive Fans, wissen auch, dass das 2020 immer noch aktuell sein wird. Weil, immer, wenn ich auf der Bühne bin, improvisiere ich und halte das sehr tagesaktuell.
X: Das ist ein bewundernswerter Ansatz, erst recht, wenn man dann mehrere Auftritte auf einer Tour mitbekommt. Das birgt aber doch auch ein gewisses Risiko, in welche Richtung sich so eine Show dann entwickelt. Bist du da sehr analytisch und besprichst das mit deinem Team im Nachgang?

SS: Also, auf jeden Fall bin ich auch nach der Show noch mal damit beschäftigt, die Show aufzuarbeiten und zu überlegen, was gut gelaufen ist und was nicht und was man vielleicht auch verändern könnte. Aber wir wachsen ja auch zusammen. Wenn wir über mich und die Band sprechen, dann sind wir jetzt seit circa sechs Jahren zusammen unterwegs. Es gab da einen sehr markanten Punkt, der unsere Zusammenarbeit auch noch mal intensiviert und verbessert hat; das war, als wir vor etwa drei Jahren auf Tour beschlossen haben, Stand-ups und Musik nicht mehr so radikal wie bisher voneinander zu trennen, sondern ineinander übergehen zu lassen. Mittlerweile fange ich einfach an, frei und improvisiert zu erzählen und die Band steigt auf meine Improvisation ein und wir entwickeln das zusammen vor den Zuschauern. Das ist nichts anderes als beim Freestylen im Hip-Hop, nur dass wir das dann eben auch musikalisch entwickeln. Da gibt es ein Livealbum, das wir bei einem Auftritt im Stuttgarter Theaterhaus mitgeschnitten haben, und da gibt’s eine Nummer, die heißt „Angst“ und die ist komplett improvisiert. Und wenn man die hört, dann denkt man, dass das gar nicht sein kann, weil sich alles so abgesprochen anhört, aber weder Text noch Musik sind vorbereitet. Bei der Show in Potsdam gerade war bei einem Song meine Gitarre verstimmt und ich meinte so: „Ach, ist doch ganz cool, klingt wie Berliner Street-Style!“, und dann haben wir so ’ne Berliner Punknummer gespielt.

X: „Sysphs“ heißt das Album. Ich vermute mal, das steht für Sisyphos. Hast du manchmal den Eindruck, dass all dein Strampeln für das Gute, das Richtige und für Toleranz sinnlos ist und die Menschheit todgeweiht?

SS: (lacht) Ja, so düster würde ich’s nicht sagen, aber es gibt schon Momente, in denen ich das denke, ja. Gerade, wenn ich mir die Entwicklung der letzten Jahre ankucke … Die Menschen, die Meinungen werden immer extremer, unmittelbarer, ungerechter; und das Internet verhindert das nicht gerade, sondern das fördert das sogar eher. Und auch die politische Entwicklung mit der AfD bei über 20 % ... das sind Dinge, die mir natürlich Sorgen bereiten und bei denen ich mich auch immer wieder frage: „Wofür hast du die ganze Aufklärungsarbeit in den letzten 35 Jahren geleistet?“ Aber dann gibt’s auch wieder Momente, in denen ich guten Mutes bin, denn ein großer Teil der Gesellschaft ist anders als noch vor 20, 30 Jahren. Eben viel aufgeschlossener. Es gibt viele Menschen in Deutschland, die dieses neue, multikulturelle und vielfältige Deutschland verteidigen und in Schutz nehmen vor dem Angriff derer, die ihre eigene Engstirnigkeit zum Maß aller Dinge machen. Es ist also eine sehr ambivalente Geschichte. Ich versuche, nicht zu verzagen, aber es gibt auch Momente, in denen ich enttäuscht, verzweifelt und auch ein bisschen perspektivlos bin. Keiner weiß, wo das alles hinführt und ich glaube nicht, dass wir in den nächsten Jahren weniger extrem werden. Die Schere klafft weit auseinander, es gibt sehr viel Verteilungsungerechtigkeit auf der Welt und dazu leider sehr viel Arroganz. Leute, die meinen, sie hätten den Wohlstand für sich gepachtet, aber der ist an sich nur auf dem Rücken anderer aufgebaut. Und das immer wieder, mit allen geschichtlichen Kontexten, zu erklären und der politischen Haltung, die man braucht, das ist manchmal sehr müßig.
X: Und trotzdem stehst du morgens wieder auf, packst dir deinen Stein und rollst in engagiert den Berg hoch?

SS: Genau, deswegen „Sysphs“, bezieht sich im Kontext des Albums zwar auch eher auf Liebesgeschichten, aber so ist auch das Leben. Das Leben ist wie die Liebe, die Liebe ist wie das Leben. Immer wieder ein Weg, den man von Anfang bis Ende geht und dann geht’s wieder von vorne los. Man darf eben nicht den Mut und den Glauben an die Sache verlieren. Und dieses Stückwerk bewältigen wir alle gemeinsam, du genau wie ich. Wenn du morgens aufstehst, musst du dich auch überwinden, deine Arbeit zu machen, und so ist das bei mir auch. Das heißt aber nicht, dass man gefällig sein soll und alles toll findet. Dieses nötige Stückchen Kritik und Enttäuschung und Frustration ist manchmal auch wie ein Motor, den man braucht, um sich wieder aufzuraffen.

X: Bei Deinem aktuellen „Sextape“ und deinen anderen Clips bei YouTube ist die Kommentarfunktion deaktiviert, bei Facebook sind Kommentare aber möglich. Liest du dir Kommentare und Kritiken durch, oder beachtest du das gar nicht?

SS: Es gibt da kein Prinzip, ich lese also weder alles noch gar nichts. Der Grund für die gesperrte Kommentarfunktion ist, dass mittlerweile viele Menschen glauben, sich in der Anonymität des Internets Dinge erlauben zu können, die respektlos sind. Ich finde, bevor man sich zu etwas äußert, das man nicht kennt, muss man sich damit auseinandergesetzt haben. Und die meisten Leute reagieren heute im Internet nur noch affektiv. Du schreibst eine Überschrift und die reicht schon, um die ersten Kommentare zu erzeugen. Das wird meiner Arbeit und meinem Aufwand nicht gerecht und deswegen lasse ich das auch nicht zu. Zumindest in den Kanälen, in denen ich das kontrollieren kann. In meinem Wohnzimmer lass ich mir nicht auf den Tisch kacken.
X: Machst du das alles selbst, oder hast du ein Social-Media-Team, das dich unterstützt?

SS: Es gibt ein Team aus mehreren Administratoren, die alle Zugang haben und nach bestimmten Richtlinien arbeiten. Also vor allem eben auf Respekt und aufgeschlossenen, höflichen Umgang miteinander achten. Es sollte auch Interesse für das, was auf dem Kanal stattfindet im Vordergrund stehen und nicht einfach nur Getrolle. Das ist besonders bei diesen AfD-Themen so, dass da schnell so ein ganzer Schwarm von Trollen aktiv wird und versucht, die Seite zu stürmen. Da sind wir sehr rigoros. Und das hat spürbare Auswirkungen im Diskussionsspiel; die meisten Einträge sind mittlerweile deutlich sachlicher als vor ein paar Jahren, als wir das eben noch nicht reguliert haben.

X: Und wie ist das bei deinen Shows? Hast du auch ein Team, mit dem du am Programm arbeitest, oder schreibst du alles selbst?

SS: Ich schreibe keine Shows. Ich improvisiere, immer.
X: Wow. Komplett improvisiert, jeden Abend aufs Neue?

SS: Genau; es gibt keinen einzigen geschriebenen Satz zum Programm. Stand-up im wahrsten Sinn des Wortes. Ich gehe auf die Bühne, weiß vorher nicht, was ich sage und auf der Bühne entsteht das Programm. Viele Zuschauer, die das schon mal miterlebt haben, wissen das und schätzen das, weil eben jeder Abend wie eine Premiere und originär ist. Bei einem Programm war das sogar nachweisbar, das war das „Bild Lesen“-Programm. Da bin ich auf die Bühne und habe einen verschlossenen Umschlag mit der tagesaktuellen Bildzeitung bekommen und habe dann zwei Stunden daraus vorgelesen und darauf improvisiert. In Deutschland gibt es diese Art der Stand-up mittlerweile viel zu selten. Das Einzige, wo ich nicht improvisiere, ist die „heute-show“. Da werden Texte geschrieben und die werden auch abgenommen. Einfach deshalb, weil das eine sehr große Sendung ist und das ZDF da etwa genauer darauf achtet. Aber auch da habe ich die Möglichkeit, mit Oliver Welke am Mittwoch vorher die Texte zu besprechen und unter Umständen zu ändern oder anzupassen. In der Sendung laufen die Texte dann über den Teleprompter und werden da abgelesen. Aber zu dieser Art, so stark mit Improvisation zu arbeiten, gehört natürlich, dass man sehr informiert und neugierig ist. Ich lese da sehr viel und versuche, up to date zu sein und zu wissen, was nicht nur hier in Deutschland, sondern in der Welt so vor sich geht, und zwar nicht nur auf politischer, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene.

X: Zum Abschluss die Frage nach den nächsten Projekten abseits der Hassias-Tour im Frühjahr und die Tour mit der Band im Herbst 2020?

SS: Ich habe ein bereits halb geschriebenes Buch in der Schublade, das aber wohl erst 2021 fertig wird, und dann ist auch noch ein Kinofilm in Arbeit.
X: Das ist schön zu hören; dann können wir uns ja konstant auf Neues von dir freuen!


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