"Es gibt überhaupt keine Alternative zum Optimismus.“ Dirk Steffens

Den meisten dürfte er als sympathischer Moderator der ZDF-Reihe „Terra X“ bekannt sein: Dirk Steffens. Seit einem Vierteljahrhundert bereist er die Welt, beweist Mut angesichts wilder Tiere oder beim Klettern auf dem Gletscher. Er hat viel gesehen, viel erlebt – und wurde so eher ungewollt zum Umweltaktivisten, der sich heute ganz besonders für den Artenschutz einsetzt.

XAVER: Zum Einstieg möchte ich kurz auf Ihren beruflichen Werdegang eingehen: Wie kam es eigentlich, dass Sie Naturreporter geworden sind – immerhin haben Sie nicht Biologie oder Ähnliches studiert, sondern Geschichte und Politik.

Dirk Steffens: Ich war sechs Jahre alt, als ich einen Tierfilm von Berndhard Grzimek gesehen habe – und da wusste ich: Das will ich auch machen. Und dann gab’s den Moment nach dem Abitur, als es ans Studium ging und ich mir die Frage stellte: Studiere ich jetzt eigentlich Biologie oder mache ich Journalismus? Ich hatte einen Platz an der Journalistenschule in Köln bekommen – verbunden mit einem geisteswissenschaftlichen Studium, das ich aber nie zu Ende gemacht habe. Ich habe die Journalistenschule absolviert und dann ging es beruflich gleich so los, dass ich das Studium zwar noch ein bisschen mit mir rumgeschleppt, aber nie die Abschlussprüfung gemacht habe.

X: Dass Sie sich nicht für Biologie entschieden haben, haben Sie im Nachhinein aber nicht bereut? Weil Sie sich dann vielleicht ein breiteres Grundlagenwissen hätten aneignen können…

DS: Nee, gar nicht. Das kann man sich eigentlich wie einen Kreisverkehr vorstellen – also eine gerade Straße, die auf einen Kreisverkehr zuführt. Rechts rum ist Journalismus, links rum Biologie, aber hinten geht die Straße gerade weiter. Ich würde jetzt also genau dasselbe machen. Nach 25 Jahren mit hunderten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf der ganzen Welt spielt das auch keine Rolle mehr, dass ich nicht Biologie studiert habe. Inzwischen habe ich sogar oft das Gefühl, dass ich mir so den unverstellten Blick auf die Geschichten erhalten habe. Während Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler natürlich immer durch ihre analytisch-wissenschaftliche Brille gucken müssen, kann ich als Journalist die Sachverhalte manchmal etwas verständlicher und zugespitzter darstellen. Die Entscheidung ist hinten raus also sogar ein Vorteil geworden, würde ich fast behaupten.

X: Generell, das Interesse an Naturthemen, war das schon immer da? Oder hat sich das durch Ihre Arbeit nach und nach entwickelt?

DS: Das Interesse war schon immer da, ja. Ich war auch so ein Junge, der alle Tiere mit nach Hause gebracht hat, selber viele Tiere hatte, mit Tieren aufgewachsen ist – ich komme ja aus einem ganz kleinen Dorf. Aber Umweltaktivist war ich am Anfang nicht und wollte auch nie einer werden. Das hat aber der Beruf mit mir gemacht! Wenn man so lange um die Welt fährt, kommt man oft auch an Orte zurück, die man zuvor schon mal gesehen hat und kann die Veränderungen dort wahrnehmen. Etwa, dass es dem Korallenriff, das man vor 25 Jahren zum ersten Mal gesehen hat, nach 10, nach 15, nach 20 Jahren immer schlechter geht. Jedes Mal sind mehr Korallen ausgeblichen. Jedes Mal sind die Fischschwärme kleiner. Jedes Mal gibt es neue Fischerboote. Jedes Mal liegen mehr Sedimente auf den Korallen, weil vielleicht Mangroven an der Küste abgeholzt worden sind; jedes Mal gibt es dafür neue Touristenhotels. Und es ist egal, wo ich hinfahre – ob das jetzt eine Savanne in Afrika ist, ob es die Gletscher auf Grönland sind oder sogar in der Antarktis – es ist völlig egal, wo ich hinfahre, überall bietet sich ein katastrophales Bild der Naturzerstörung. Und das konnte ich irgendwann nicht mehr ignorieren. Irgendwann war es nicht mehr genug, einfach nur diese schönen Tierfilme zu machen. Man muss die Kamera dann ab und zu auch mal in die andere Richtung drehen, um die Geschichte dahinter zu drehen, und das ist leider keine gute Geschichte.
Inzwischen lassen sich diese persönlichen Eindrücke von Naturzerstörung übrigens durch eine riesige wissenschaftliche Datenbasis auch sauber belegen. Wir können zum Beispiel sagen, dass wir das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier erleben – was ja ein unglaublicher Satz ist, wenn man mal darüber nachdenkt. Aber das ist wissenschaftlicher Konsens. Vor 10 oder 15 Jahren hätten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mir noch nicht zugestimmt bei diesem Satz. Ich hätte mich wahrscheinlich auch nicht getraut, ihn laut auszusprechen. Aber inzwischen hat sich das verändert. Wir wissen, dass sich die natürliche Aussterberate um das 100- bis 1.000-fache erhöht hat. Wir wissen, dass sich in Deutschland – im vergangenen Jahr kam ja die große Studie raus – die Zahl der Fluginsekten um bis zu drei viertel vermindert hat. Wir haben jetzt ganz viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Diskussion verändern. Umweltschutz wird jetzt von einer gefühlten zu einer beweisbaren Notwendigkeit.

X: Das war für Sie vermutlich ein Grund mehr, 2017 gemeinsam mit Ihrer Frau die „Biodiversity Foundation“ zu gründen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, über die Ursachen und Gefahren des globalen Artensterbens zu informieren. Können Sie kurz zusammenfassen, warum genau dieses Massenaussterben eine so große Bedrohung für uns Menschen darstellt? Eine größere Bedrohung sogar als der Klimawandel…

DS: Ich sag’s mal provokant: Wenn morgen die Nachricht kommt, dass die Eisbären auf dem Planeten Erde ausgestorben sind, dann ist das eigentlich egal. Denn der Eisbär spielt für mein Leben und auch für das Leben aller anderen Deutschen im Alltag überhaupt keine Rolle. Wir essen kein Eisbärfleisch, wir brauchen das Fell nicht, um uns zu wärmen, also brauchen wir gar keine Eisbären. Es verändert sich nichts, wenn diese eine Art ausstirbt. Und deshalb geht es bei den Themen Artenschutz und Artensterben nicht darum, einzelne Arten zu schützen. Das ist immer das große Missverständnis. Wir verlieren gerade pro Jahr aber Zehntausende Arten – Zehntausende! Und wir wissen meistens noch nicht mal, welche Arten das sind, weil die meisten Tier- und Pflanzenarten auf der Welt ja noch gar nicht bekannt sind. Was wir wissen: Von den Tier- und Pflanzenarten in Deutschland ist ungefähr ein Drittel vom Aussterben bedroht. Und was wir auch wissen: Wenn all diese Arten tatsächlich aussterben, dann sterben wir Menschen irgendwann mit. Warum ist das so? Versuchen Sie mal, mit einem Maiskorn zum Mars zu fliegen und werfen das da in den roten Staub. Sie werden keine Pflanze züchten können. Warum nicht? Weil es keine Atmosphäre gibt. Die Atmosphäre auf der Erde, die wir atmen, die ist ja von Pflanzen geschaffen – das dürfen wir nicht vergessen. Die ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern die Pflanzen haben diese Atmosphäre, die Sauerstoff-Anreicherung, geschaffen, sodass wir Menschen überhaupt lebensfähig sind. Das Zweite ist: der Boden. Erde ist kein toter Staub wie auf dem Mars. Erde an und für sich ist ein Lebewesen. Es gibt tausende, hunderttausende kleine Arten, Mikroben, Regenwürmer, Käfer, die im Boden leben und aus unfruchtbarem Staub fruchtbare Erde machen. Und wenn von diesen Arten zu viele gleichzeitig verschwinden, dann wächst da nichts mehr. Das heißt, Landwirtschaft ist dann nicht mehr möglich. Genauso beim Insektensterben: Wenn die Bestäubungsinsekten alle weg sind, kann ein Apfelbaum kaum noch Früchte tragen. Weil er eben Bienen und andere Tiere braucht, um sich bestäuben zu lassen. Das heißt, wir reden hier tatsächlich über die Existenzgrundlage von uns Menschen. Und deshalb ist das Artensterben ein noch größeres Problem als der Klimawandel. Wir müssen das lösen, damit wir überhaupt weiter in einer wohlhabenden, zivilisierten, menschlichen Gemeinschaft leben können. Das ist die Grundlage unseres Seins. Es gibt nichts Wichtigeres. War das anschaulich und zusammengefasst?

X: Auf jeden Fall! Es ist interessant, dass in den Medien das Wort Klimawandel eine viel zentralere Rolle einnimmt. Das wird uns sozusagen als das größte aller Probleme verkauft, ist es aber ganz offensichtlich nicht.

DS: Sie müssen sich vorstellen: Es gibt ein großes Katastrophenbild und das heißt Naturzerstörung. Und Klimawandel ist nur ein Mosaikstein in diesem großen Bild. Da gibt es andere Mosaiksteine wie zum Beispiel die biochemischen Kreisläufe, also die Überdüngung der Erde, das Artensterben oder die Süßwasserressourcen, die immer knapper werden und immer schwieriger zu verteilen sind. Der Klimawandel ist zwar ein großer Mosaikstein in dem Bild, aber es gibt noch größere. Das heißt nicht, dass der Klimawandel kein Problem ist. Nicht falsch verstehen. Das ist alles richtig, was da diskutiert wird, aber wir haben auch ein paar noch größere Probleme und über die reden wir noch gar nicht. Darum geht es.

X: Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Naturfilme in diesem Zusammenhang? Denken Sie, dass diese etwas bewirken können? Einen Bewusstseinswandel herbeiführen? Dass Filme da tatsächlich eine solche Macht haben?

DS: Ja – also zum einen muss ich das glauben, weil da für mich als Filmemacher natürlich das Prinzip Hoffnung gilt. Außerdem bin ich inzwischen vielen Menschen begegnet, die seit Jahrzehnten meine Filme gucken und sagen: Ihretwegen habe ich dieses oder jenes getan. Man kann das auch konkreter machen: Ich bin grade durch Deutschland getourt mit einer BBC-Produktion, „Unser blauer Planet“. Ich weiß nicht, ob Sie’s kennen? Das ist eine große BBC-Dokumentationsreihe rund um das Thema Meere. Das wurde natürlich auch in Großbritannien ausgestrahlt und dort hat es den sogenannten Blue-Planet-Effekt gegeben – nach Ausstrahlung dieser Serie. Was war das? Die britische Öffentlichkeit hat gefordert, dass mehr gegen die Verschmutzung der Meere getan wird. Also startete die britische Regierung neue Umweltinitiativen und sogar die Queen in ihrem Palast hat in allen königlichen Haushalten Plastik-Wegwerfartikel verboten. Dieser Blue-Planet-Effekt hat tatsächlich ein Land verändert, zumindest beim Thema Plastikmüll, hat völlig neue Impulse gesetzt und das kann man in diesem einen Fall ganz klar messen und insofern ist die Antwort auf Ihre Frage eindeutig: Ja, Filme können etwas verändern.

X: Es gibt ja zweierlei Arten von Naturfilmen: Die einen, die ein sehr idyllisches Bild zeichnen und aufzeigen, wie wunderschön unsere Erde ist. Und dann gibt es da die anderen, die sehr kritisch sind, Umweltzerstörung sichtbar machen. Was finden Sie denn wichtiger, richtiger vielleicht auch?

DS: Da habe ich eine Menge empirische Erfahrung! Ich leite in Eckernförde das „Green Screen“, das ist Europas größtes Naturfilmfestival. Und Sie sehen an der Zahl der Einreichungen und an der Art der eingereichten Filme über die Jahre, dass es eine deutliche Verschiebung gibt. Die Zahl der kritischen Reportagen, der Umweltdokumentationen nimmt stark zu. Aber das heißt nicht, dass es die „schönen“ Naturfilmer, die mit der Faszination der Erde arbeiten, irgendwie schwerer haben. Das sind zwei Dinge, die muss und soll es nebeneinander geben. Ich beschreibe das immer so: Die schönen Filme wecken die Faszination und die Liebe zur Natur und die Umwelt-Dokumentationen erklären dann die Probleme und wie man die Natur schützen kann. Und deshalb arbeiten diese beiden Genres Hand in Hand. Die gehören zusammen.

X: Finden Sie, dass dann beispielsweise das „Terra X“-Format ausreichend kritisch ist? Würden Sie da manchmal gerne mehr auf den Putz hauen?

DS: Da muss man natürlich wissen, dass „Terra X“ Formatfernsehen ist – das heißt, das hat eine bestimmte Länge, es läuft zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Tag und wir kennen auch unsere Zuschauer. Wir wissen zum Beispiel, dass oft ganze Familien vor dem Bildschirm sitzen. Unsere Zuschauer sind also teilweise 6 Jahre und teilweise 80 Jahre alt. Aber im Schnitt für ZDF-Verhältnisse vergleichsweise jung. Und wenn Sie Familienprogramm machen, dann müssen Sie als Filmemacher auch darauf Rücksicht nehmen und genau für die Menschen, die dann vorm Fernseher sitzen, die Geschichten so erzählen, dass sie angenommen und auch verstanden werden können. Wenn ich jetzt eine Dokumentation für Arte mache oder für das Spätprogramm bei ZDF, dann baue ich die Geschichte natürlich anders auf. Das heißt aber nicht, dass „Terra X“ weniger kritisch ist, sondern das heißt einfach nur, dass man natürlich auf diesem Sendeplatz versucht, möglichst viele Menschen zu erreichen. Das ist aber ganz interessant, dass Sie mich das fragen, denn wir haben gerade vor wenigen Wochen „Terra
X: Faszination Erde Südafrika“ ausgestrahlt und da haben wir etwas gemacht, dass wir noch vor fünf oder zehn Jahren nie gemacht hätten, weil es noch nicht zu diesem Format passte. Wir haben Bilder gezeigt von einem Nashorn, dem Wilderer mit Äxten bei lebendigem Leib das Horn vom Kopf geschlagen haben und man hat dieses blutige Nashorn gesehen. Wirklich grausame Bilder. Und wir haben eine längere Geschichte dazu erzählt, wie ich dann mit Tierärzten und Rangern zusammen den noch unversehrten Nashörnern die Hörner mit Kettensägen abgesägt und abgefeilt habe, damit sie für Wilderer uninteressant werden. Und ausgerechnet diese Sendung, die sagen wir mal dem alten Lehrbuch von „Terra X“ widerspricht, hatte die höchste Quote seit ich weiß nicht wann. Also wir hatten 18,3 Prozent, eine Einschaltquote, die geradezu märchenhaft ist, fast Tatort-Größe erreicht – es war die erfolgreichste Sendung, die wir jemals gemacht haben, seit es das Format „Faszination Erde“ gibt. Und das war eine Sendung, die große, umweltkritische, schwierige Passagen hatte. Also das als Antwort auf Ihre Frage. Für mich ist das eher ein Zeichen dafür, dass sich im öffentlichen Bewusstsein etwas verschoben hat. Dass die Bereitschaft wächst, sich mit schwierigen Umweltthemen auseinanderzusetzen. Und das ist eine gute Nachricht.


X: Themenwechsel – zurück zur „Biodiversity Foundation“ und zur aktuellen Petition. Sie wollen, dass der Schutz der Biodiversität im Grundgesetz verankert wird.

DS: Genau, Artenschutz ins Grundgesetz! Das ist der Slogan. Wenn Sie das googeln, landen Sie an der richtigen Stelle.
X: Was genau erhoffen Sie sich davon, wenn Artenschutz im Grundgesetz steht?

DS: Artenschutz ins Grundgesetz wäre der Schritt, den wir auf nationaler Ebene gegen das globale Artensterben umsetzen können. Als Deutsche können wir natürlich jetzt nicht den Brasilianern erzählen, wie sie die Artenvielfalt in ihrem Regenwald erhalten sollen. Das kann man zwar auf internationaler Ebene bei Verhandlungen zur Sprache bringen, aber das liegt ja außerhalb unserer Entscheidungsmacht. Worüber wir aber Hoheit haben, das ist unser eigenes Land. Und wenn wir hier in Deutschland, in einem reichen und einflussreichen Land, sagen, bei uns kriegt Artenschutz jetzt Priorität – nämlich so hohe Priorität, dass er ins Grundgesetz kommt, dann macht das auf der ganzen Welt Eindruck. Wenn man das erreichen würde, wäre das schon großartig. Und die zweite Idee ist: Wir möchten das nicht irgendwo ins Grundgesetz schreiben, sondern ganz speziell in den Artikel 91a. Warum? Weil dort die gemeinsamen Aufgaben von Bund und Ländern definiert sind. Was da drin steht, das müssen Bund und Länder gemeinsam tun. Und wenn sie’s gemeinsam tun, dann müssen sie’s auch gemeinsam finanzieren. Es entsteht also ein großer Topf, in den viel Geld fließt. Und wenn viel Geld in einem Topf ist, entsteht politische Handlungsdynamik und genau die wollen wir anstoßen. Also Thema 1: Wir wollen das zu einem wichtigen Ziel für unser Land machen. Und Thema 2: Wir wollen’s an der richtigen Stelle platzieren, damit auch wirklich was passiert.

X: Kann man zusammenfassend sagen, dass Sie der Meinung sind, dass Artenschutz eine politische Aufgabe ist?

DS: Was Sie sagen, ist, ich sag’s jetzt mal absichtlich provokativ – ich hoffe, Sie nehmen’s mir nicht übel – das ist eine fast schon kriminelle Untertreibung. Sie müssen das immer auf der gleichen Ebene wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte denken, denn wir reden hier über eine Lebensgrundlage. Wenn hier aufgrund von Umweltzerstörung irgendwann die Luft so verschmutzt ist, dass wir wie in China 4.500 Tote pro Tag haben – nur durch Luftverschmutzung, und zwar die armen Leute, dann ist das ein politisches Problem. Wenn die Insekten weiter so aussterben, dass unsere Landwirtschaft vollständig zusammenbricht, also alle Bäuerinnen und Bauern ihre wirtschaftliche Grundlage und wir alle unsere Nahrungsgrundlage verlieren, dann ist das ein politisches Problem. Die Vereinten Nationen schätzen, dass pro Jahr neun Millionen Menschen an den Folgen von Luft- und Wasserverschmutzung sterben. Das sind Zahlen wie in einem Weltkrieg. Und was könnte in der Politik wichtiger sein, als solche katastrophalen Probleme zu lösen. Also ist die Frage, ob das eine politische Aufgabe ist, viel zu klein gestellt. Es ist eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste politische Aufgabe, der sich die Menschheit in diesem Jahrhundert gegenübersieht. Wir müssen das in den Griff kriegen, zum Wohle unserer eigenen Art.

X: Viele Menschen neigen ja dazu, zu sagen: Ich allein kann ja gar nichts bewirken, weil die eigentlichen Bösen die großen Unternehmen sind. Wie stufen Sie denn die Rolle des Einzelnen in dieser Sache ein?

DS: Zum einen glaube ich, dass wir viel zu oft genau dieses Argument – ich allein kann doch nichts ausrichten – als Ausrede dafür benutzen, nichts unternehmen zu müssen. Das ist ja eine ganz bequeme Ausrede: Ich kann nichts ausrichten, also mache ich nix. Es gibt von Gandhi sinngemäß den klugen Satz: Wenn du möchtest, dass sich die Welt verändert, dann sei du selbst der Anfang dieser Veränderung. Um jetzt nicht nur so philosophisch zu klingen: Gehen Sie mal in einen beliebigen Supermarkt in Deutschland und zählen Sie mal, wie viele Bio-Produkte es dort gibt. Vor zehn Jahren gab es dort kein einziges. Glauben Sie, das haben Supermärkte verändert, weil sie plötzlich von lauter ökologisch interessierten Supermarktleitern geführt werden? Natürlich nicht! Sondern weil eine Nachfrage entstanden ist für solche Produkte. Das ist die Macht der Konsumenten und jeder, der sich zum Beispiel bei seinen Kaufentscheidungen für nachhaltige Produkte entscheidet, jeden Tag, fördert damit solche Entwicklungen. Das heißt aber nicht, dass wir kleinen Leute, wir Verbraucher das allein machen müssen – das ist ja auch oft so ein Denkfehler. Wir können’s auch nicht allein richten. Die großen Konzerne und die Politik, die müssen schon auch was tun. Es müssen eben alle drei dieser Gruppen – also die Verbraucher, wir Bürgerinnen und Bürger, die großen Unternehmen und die Politik – alle drei Ebenen müssen gemeinsam etwas tun. Und wir müssen aufhören, immer mit dem Finger auf die anderen zu zeigen und zu sagen: Die zuerst!

X: Sie sagen: Wenn wir jetzt umsteuern, schaffen wir’s. Echt? Sind Sie wirklich davon überzeugt, dass es noch nicht zu spät ist? Woher nehmen Sie ihren Optimismus?

DS: Aus zwei, nein eigentlich aus drei Quellen. Erstens ist das mein Naturell. Zweitens gibt es überhaupt keine Alternative zum Optimismus. Die Alternative wäre, die Menschen sterben aus – darüber wollen wir nicht ernsthaft nachdenken. Und das Dritte: Zum ersten Mal verfügt die Menschheit über die Mittel und das Wissen, tatsächlich die entscheidenden Hebel zu betätigen. Wir wissen, was zu tun ist, und wir sind auch in der Lage, das zu tun. Wir wissen, wie man Landwirtschaft betreiben müsste. Wir haben schon die Technologien für neue Antriebstechniken, zum Beispiel bei den Autos. Es geht jetzt nur darum, wie wir das klug flächendeckend einführen, auch kosteneffizient und wirtschaftlich sinnvoll. Wir müssen moderner werden! Umweltschutz, das ist auch noch so ein altes Missverständnis, heißt nicht Rückschritt, sondern Umweltschutz heißt: schnellerer Fortschritt. Wir müssen neue Technologien schneller implementieren als bisher. Wir dürfen nicht so lange an Technologien wie Braunkohle hängen – Deutschland ist ja immer noch der größte Braunkohle-Verfeuerer der Welt! Das kann man kaum glauben, vor China. Und an solchen Uralt-Technologien dürfen wir nicht länger hängen. Wir müssen mutiger in die Zukunft gehen und da auf neue Technologien setzen.

X: In unserer Mai-Ausgabe stellen wir verschiedene regionale Projekte vor, die einen Schritt in die richtige Richtung weisen. Gibt es ein Projekt, auf das Sie an dieser Stelle gerne hinweisen möchten, weil Sie es einfach super und wichtig finden? In Deutschland oder anderswo?

DS: Da gibt es natürlich ganz viele Projekte… Was mich zum Beispiel kolossal nervt, das sind die 2,8 Milliarden Coffee-to-go-Becher, die wir jedes Jahr wegschmeißen und von denen man fast keine recyceln kann, weil die aus Verbundmaterial bestehen. Und ich finde diese neuen Pfandsysteme, Re-Cup zum Beispiel, ganz sinnvoll. Das ist auch ein schönes Beispiel: Wir müssen nicht auf diesen Kaffee verzichten; wir müssen weder auf Geschmack noch auf Komfort verzichten, und trotzdem gibt es Methoden, um die To-go-Kultur zu leben. Und das, finde ich, ist genau das, worum es geht.

X: An Ihrer Stelle würde ich vermutlich einen sehr ausgeprägten Hass auf all die ignoranten Leute entwickeln, die einem jeden Tag so begegnen. Ist das bei Ihnen so?

DS: Ich glaube, dass Inkonsequenz irgendwie zum Naturell von uns Menschen gehört. Wir sind so. Wir sind halt Menschen und keine Maschinen und das heißt, wir sind nicht perfekt. Umlernprozesse sind oft schwierig. Wir haben alle unsere Rituale, unsere Gewohnheiten. Das geht mir ja nicht anders. Ich habe jahrelang gebraucht, um meinen Fleischkonsum jetzt auf nahe Null zu fahren. Fleisch zum Beispiel ist ja ein großer Trigger für den Klimawandel und auch in anderer Hinsicht ein Problem für die Umwelt. Aber man darf da auch nicht radikal werden. Das heißt ja nicht, dass man gar kein Fleisch essen soll, sondern vielleicht so, wie Oma das immer gemacht hat: ein Sonntagsbraten. Fleisch als besonderes, hochwertiges Lebensmittel und dann aus nachhaltiger Produktion. Und nicht jeden Tag morgens schon das Mettbrötchen, mittags das Frikadellenbrötchen in der Imbissbude und abends noch mal ein Schnitzel zu Hause und das sieben Mal die Woche. Das ist das Problem. Und natürlich ärgere ich mich über die Ignoranz anderer Menschen, aber noch viel mehr ärgere ich mich darüber, wenn Leute, die es eigentlich besser wissen müssten, dummes Zeug reden. Wie zum Beispiel Christian Lindner von der FDP, als er versuchte, die „Fridays for Future“-Bewegung zu desavouieren, indem er sagte, das sei eine Sache für Profis. Da kann ich ihm als Profi sagen: Ja, die Schüler haben recht und Christian Lindner hat unrecht. Also sollte er mal bei Greta ein bisschen Nachhilfe-Unterricht nehmen über den Klimawandel. Da kann er nämlich ganz offensichtlich was lernen. Darüber kann man sich viel mehr ärgern, wenn Menschen in so einer Position so einen Unsinn reden, als wenn jetzt der einzelne Mensch mal ein Schnitzelbrötchen zu viel isst. Natürlich hat er da politisch zugespitzt, das kann er ja auch eigentlich gut. Aber in diesem Fall hat er sich vergriffen.

X: Wie streng sind Sie denn mit sich selbst, wenn es ums öko-korrekte Handeln geht?

DS: Mittel, würde ich sagen. So, wie ich das gerade beschrieben habe: Wir sind fehlbar. Das gilt auch für mich. Meine Frau und ich haben aktuell das letzte Auto mit Verbrennungsmotor unseres Lebens. Der Leasing-Vertrag läuft halt noch ein Jahr. Aber danach wird es sicher keins mehr geben. Wir fahren eigentlich fast nur Fahrrad. Wir essen beide kaum noch Fleisch. Ich fliege ja beruflich viel – das kompensiere ich über Spenden an Vereine, die dann beispielsweise Bäume pflanzen. Wir haben unseren Garten in einen Öko-Garten umgewandelt. Wir kaufen fast nur noch Bio-Produkte… Ich kann jetzt eine halbe Stunde weiter so aufzählen. Das sind lauter kleine Schritte. Nichts davon rettet allein die Welt, aber, wie gesagt, wenn jeder Mensch eine Kleinigkeit verändert, dann überlegen Sie mal, was für ein Riesenberg von Veränderung da bei siebeneinhalb Milliarden Menschen zusammenkommt.

X: Apropos Fernreisen: Wohin geht Ihre nächste Expedition?

DS: Nach Kamerun, wo wir Schimpansen filmen werden.

X: Sie haben schon viel von der Welt gesehen und wissen, dass es absolut keine Selbstverständlichkeit ist, so zu leben, wie wir es hier tun. Wie fühlt es sich für Sie an, nach einer Reise in ferne Länder wieder hierher zurückzukommen?

DS: Zum einen ist es das Gefühl von Heimat, von Nachhausekommen – das ist sehr wichtig, ich bin ein sehr heimatverbundener Mensch. Und dann habe ich ganz oft fast schon schmerzlich intensiv den Eindruck: Wir könnten wirklich etwas verändern! Wir sind reich genug, wissend genug und unsere Gesellschaft hat alle Möglichkeiten, es besser zu machen. Wenn Sie in Manila im Slum leben, dann können Sie sich mit der Frage, wie es der Welt in 30 Jahren geht, natürlich nicht auseinandersetzen, weil Sie erst mal das Problem lösen müssen, was Sie heute essen. Da wir dieses Problem aber nicht haben, lastet auf uns – oder, ich würde gar nicht sagen lastet – haben wir das Privileg einer besonderen Verantwortung. Aber das ist ja auch etwas Schönes! Wir sind die, die’s verändern können. Dass die Menschen hier das so wenig fühlen, das bedrückt mich manchmal. Wir hätten so viele Möglichkeiten, in unserem Land etwas zu verändern und damit ein Beispiel zu sein. Und wir tun so wenig.

X: Ich denke, das ist ein guter Schlusssatz für dieses Gespräch. Es hat mich sehr gefreut, dass das geklappt hat – herzlichen Dank!

DS: Mich auch, vielen Dank.

Artenschutz ins Grundgesetz
Petition unterschreiben unter www.biodiversity-foundation.com


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