Privatsphäre? Vergiss es!

Jason Reitman zeigt in „Der Spitzenkandidat“ eine Politikergeschichte in der Zeit des medialen Umbruchs

Was waren das noch für unbeschwerte Zeiten! Gerade mal 30 Jahre ist es her, dass der US-Demokrat Gary Hart 1987 bei den Präsidentschaftsvorwahlen als große Hoffnung der US-Politik galt – und einen Meter vor der Ziellinie strauchelte, stürzte und fiel. Ohne Internet und mit einer Medienstruktur, in der von Satelliten unterstützte Übertragungswagen erst im Kommen waren und das gedruckte Wort noch an der Glaubwürdigkeitsspitze rangierte, brauchte es da schon die ganze Kraft der aufkommenden medialen Boulevard-Empörungsmaschine, um aus einer außerehelichen Affäre den Grund für Harts Rückzug aus der Kandidatur zu stricken. Der aktuelle Amtsinhaber im Weißen Haus würde das vermutlich nur mit „Fake News“ wegwedeln – und damit durchkommen. So ändern sich halt die Zeiten.
Jason Reitman („Juno“, „Up in the Air“) macht aus dem Stoff kein moralisches Lehrstück mit überdeutlichen Verweisen auf die Gegenwart. In seinem Mix aus Politdrama und Journalistenfilm stellt er lediglich Fragen und lässt den Zuschauer selbst entscheiden. Schlägt dieser sich auf die Seite derer, die einem potenziellen Präsidenten nach einem Fehltritt die Integrität absprechen? Oder auf die Seite des Kandidaten Hart, der auf einen Rest Privatsphäre beharrt und aus heutiger Sicht völlig außerweltlich einen harten Strich zwischen dem Amt und seiner eigenen Person zieht?
Bitter ist es da zu sehen, dass der unkonventionelle und bei der Jugend beliebte Politiker ganz störrisch auf seiner Position beharrt und in Zeiten der zunehmenden Boulevardisierung von Politik gnadenlos untergeht. Das irre Getriebe des Hart’schen Wahlkampfbüros und das später heißlaufende News-Business zeigt Reitman in aufwendigen Plansequenzen und sich überschneidenden Strängen. Ein arbeitsames Summen, das anfangs ganz fiebrig nur einem höheren Ziel gilt: dem besseren Politiker die Bahn frei zu machen. Später stockt das, als in den Redaktionsbüros diskutiert wird, wie man mit den nicht bestätigten Affären-Vorwürfen umzugehen hat: Was ist das eigentliche Interesse der Leserschaft? Und was, wenn ein anderes Medium darüber berichtet?
Hugh Jackman verkörpert Hart als einen brillanten Rhetoriker und Politiker, aber logischerweise auch als komplette menschliche Leerstelle: Was dieses Interesse der Medien an seiner Familie soll und wie Politik zu einer Art Sport verkommen kann, versteht er nicht. Nicht so emotional wuchtig wie die „Die Verlegerin“ und nicht ganz so knackig wie George Clooneys „The Ides of March“ zeigt diese filmische Momentaufnahme eine Zeit des Umbruchs, die einem heute wie von einem anderen Stern erscheint.
Als Politik zu Boulevard wurde

Der Spitzenkandidat
USA 2018
R: Jason Reitman
D: Hugh Jackman, Vera Farmiga, J. K. Simmons
S: 17. Januar
www.derspitzenkandidat.de

Statement des Regisseurs Jason Reitman:
„Es geht nicht darum, zu sagen, dass wir in der Politik nie über persönlichen Fehltritte reden sollten. Eher sollte es uns darum gehen, zu fragen, worüber wir nicht sprechen, wenn wir die anderen Themen so in den Mittelpunkt stellen. Denn welche Themen fallen dann unter den Tisch?“


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