Endlich mal runterfahren: Matthias Schweighöfer

Schauspieler, Synchronsprecher, Regisseur, Produzent, Modedesigner, Hobby-Mode-Designer und neuerdings auch zuständig für einen süffigen Grauburgunder: Der 37-jährige Matthias Schweighöfer zählt neben Til Schweiger zu den umtriebigsten deutschen Filmstars. Zum Start seiner neuen Komödie „100 Dinge“ treffen wir ihn im Berliner „Hotel de Rome“. Fünf-Sterne-mäßig wird man da im Flüsterton durch das Gebäude geschleust, bevor Aufpasser Stevie Einlass in die Luxus-Suite gewährt. Für das Gespräch entscheiden wir uns für den Teetisch. Auf dem Sofa sitzt schließlich schon die Maskenbildnerin Charlotte. Und die wollen wir keinesfalls beim Durchstöbern von Instagram-Bildern stören.

XAVER: Dein Arbeitsprogramm der vergangenen zwei Jahre liest sich, als hättest du einen Doppelgänger.

Matthias Schweighöfer: Dieses Jahr habe ich gar nicht so viel gemacht, muss ich ehrlich sagen. Wir haben bis zum Anfang des Jahres zwar ziemlich viel fabriziert. Aber jetzt hatte ich zum ersten Mal vier, fünf Monate frei.

X: Vier, fünf Monate?

MS: Ja, dieses Jahr hatten wir richtig Urlaub. Das war so, dass alle mich angekuckt und gesagt haben: Krass, so viel frei hatten wir noch nie.

X: Zusammen mit Katrin Bauerfeind hast du aber doch die zweite Staffel von „You Are Wanted“ dazwischengeschoben. Die kommt ursprünglich hier aus dem XAVER-Land. Das Schwäbische hört man ihr aber gar nicht mehr an, oder?

MS: Doch, doch, das hört man zum Teil schon noch.

X: Das kommt noch raus?

MS: Wir haben es beim Dreh ab und zu mal gehört. Besonders auf dem „a“. Aber sie hat es ziemlich gut geschafft, das loszukriegen.

X: Womit wir schon beim Thema wären: Im neuen Film „1oo Dinge“ geht es ums Runterschrauben. Du hast eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Wo ziehst du die Handbremse?

MS: Wir haben dieses Jahr schon angefangen, ein bisschen runterzufahren. Gerade in den letzten sechs Monaten ist endlich mal Rhythmus reingekommen und wir bereiten die nächsten zwei, drei Jahre vor, damit ich und mein Team auch mal Urlaub haben. Die alle haben ja auch ein Leben. Aber es macht natürlich auch Spaß, zu spielen. Das sehe ich an meinen Kindern: Die machen das jeden Tag. Nur ich darf nicht jeden Tag spielen und meinen Beruf ausüben. Umso schöner ist es dann, wenn man am großen Spielplatz, also am Set, abhängen darf.

X: Auf was dürfen wir uns nächstes Jahr freuen?

MS: Nächstes Jahr kommt „Resistance“, den drehen wir gerade. Da bin ich mit Jesse Eisenberg in der Verfilmung der Biografie von Marcel Marceau zusammen und spiele den NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie. Ins Kino kommt demnächst auch das U-Boot-Drama „Kursk“. Sonst bereiten wir einen oder zwei weitere Filme vor. Und dann gehen wir natürlich auf Musiktour, da freue ich mich sehr drauf.

X: Deine zweite Herzensangelegenheit neben dem Schauspiel ist die Musik. In der kompletten zweiten Januarhälfte bist du mit deiner Band überwiegend in Nord- und Ostdeutschland unterwegs. Kommen die Leute zu den Konzerten, weil sie den Schauspieler oder den Musiker Schweighöfer kennenlernen wollen?

MS: Es ist so fifty-fifty. Manche kennen das Album „Lachen Weinen Tanzen“ gar nicht. Es kommen aber auch Leute hin, die alles mitsingen können. Es ist jedoch eine gute Mischung und das macht dann immer viel Spaß zu sehen, wer sich denn eher mit der Musik beschäftigt und wer eher der Filme wegen da ist. Wir fahren in der Tour auch Städte ab, in denen wir schon mal gespielt haben. In Erfurt oder Magdeburg, da waren letztes Jahr wirklich die krassesten Konzerte und ich bin sehr gespannt, wie das diesmal wird.

X: Neulich in Berlin hat Jack White alle Handys vor dem Betreten der Halle einsammeln lassen, damit das Publikum auch so richtig bei der Musik und nicht immer nur am Filmen ist. Könntest du dir das auch vorstellen?

MS: Wie viele Leute waren bei Jack White?

X: So um die 5.000 …

MS: Na ja, wir spielen ja immer so vor 40.000. Und das geht da nicht. Allein mengenmäßig (lacht). Nein, das war ein Scherz. Das mit den Handys haben wir noch nicht gemacht, aber ich verstehe, was Jack White damit bezwecken will. Eigentlich ist es ja schön. Denn was macht man als Erstes am Morgen und als Letztes, bevor man schlafen geht? Handy an und Handy aus. Eine Katastrophe.

X: „Wir laufen viel zu schnell, sind immer in Gedanken, wir halten gar nichts fest, doch der Moment kommt uns abhanden.“ Das singst du auch im Titelsong deiner ersten Platte.

MS: Genau. Ich bin zum Beispiel heute Morgen aufgestanden und habe den Sonnenaufgang fotografiert – aber nur fotografiert. Und dann bin ich rein und habe mir gedacht: Kann doch nicht sein, dass ich nur das Foto mache und mir das gar nicht so richtig anschaue.

X: In „100 Dinge“ schließen zwei Freunde eine Wette ab und verzichten auf jeglichen Konsum. Auch alle Glücksforscher sagen, dass Konsum uns nicht zufrieden macht. Hat dich in den vergangen zwei Wochen irgendein Gegenstand glücklich gemacht? Kaffee und Tee zählen nicht.

MS: Ich muss ehrlich sagen: Immer wieder, wenn ich in mein Auto einsteige, dann ist das schön. Wir haben neulich in Prag gedreht. Diese Strecke zu fahren mit einem guten Song, auf einer neuen Autobahn und draußen ist Herbst, da war ich sehr glücklich und dachte mir: Yes.

X: Im Film geht es darum, zu unterscheiden, was einem im Leben eigentlich wichtig ist. Die beiden Hauptfiguren sind extrem konsumorientiert. Du bist in Anklam, Chemnitz und Berlin aufgewachsen, Regisseur Florian David Fitz, der im Film deinen Kumpel Paul spielt, im Westen. Kannst du in dieser Sache heute noch einen Ost-West-Unterschied ausmachen?

MS: Schwierige Frage. Ich bin mit die letzte Generation, die noch gerade so neun oder zehn Jahre im Osten gelebt hat und bin in der Pubertät im Westen groß geworden. Flo (Florian David Fitz, Anm. der Red.) kommt aus dem Westen – und der besitzt weniger als ich. Der hat nur zwei Schlüpfer, das weiß ich!

X: Liebe die Menschen und nutze die Dinge – das ist eine Art Credo der Minimalisten. Wäre das was für dich, sich nur mit 50 Gebrauchsgegenständen durchs Leben zu schlagen?

MS: Ich besitze eigentlich gar nicht so viel, an dem ich wirklich hänge. Ich habe gelernt, dass eine teure Sonnenbrille immer wehtut, wenn man sich draufsetzt. Ich hatte auch als Kind schon sooo coole Pullis, und dann kam meine Mutter aus dem Bad und hat mir so einen eingelaufenen Kinderpulli gezeigt und da wusste ich, der ist am Arsch. Und vor Kurzem bin ich in einer Tiefgarage in eine Säule reingeballert – und das Auto war kaputt. Das tut alles schon weh. Aber ich versuche, mich nicht abhängig zu machen von solchen Dingen. Lieber beschäftige ich mich mit Menschen. Das ist mir auch vor Kurzem aufgefallen, dass die Leute, die um mich rum sind, wie eine Familie sind. Und dass das viel mehr wert ist, als wenn ich Stevie oder Charlotte sagen würde: Geile neue Felgen an deinem Fiat Punto (Gelächter von Stevie und Charlotte aus dem Hintergrund).

X: Welche fünf Dinge könntest du nur schwer entbehren?

MS: Also bei meinem Handy hätte ich große Probleme. Bei meinem Auto auch. Joggingsachen brauche ich ebenso. Aber sonst?

X: Eine Zahnbürste?

MS: Nee … Vielleicht noch eine gute Matratze. Und die Liebesschaukel (lacht, Stevie und Charlotte kringeln sich)! Die gehört dazu, da könnte ich schwer drauf verzichten. Es gibt eben Sachen, die man täglich braucht!

X: Du wohnst in der Stadt und auf einem Vierseithof vor den Toren Berlins. Da wachsen auch deine Kinder auf. Was ist ihnen da wichtig?

MS: Dass die Kinder lernen, dass die Milch nicht aus dem Supermarkt kommt. Weil der Grundpegel in unserer schönen Hauptstadt Berlin so extrem ist, sollen sie da auch lernen, nicht nur in der Hektik zu leben. Die Horizonte sind da draußen ein bisschen weiter und wir haben Sträucher mit Brombeeren, Himbeeren, Stachel- und Johannisbeeren. Wenn wir auf dem Grundstück sind, dann stehen die Kinder drum rum und pflücken sich ihr Essen ab. Weil mehr gibt’s da auch nicht.

X: Wir haben noch eine Runde mit zehn Begriffen – und du gibst uns kurze Antworten. Bereit?

MS: Klar, in so was bin ich sehr gut!

X: Amazon 1-Click?

MS: Nein. Würde ich nicht machen. Lieber: Doppelt hält besser.

X: Chemnitz?

MS: Ist heute nicht mehr das, was es mal war …

X: Geheimratsecken?

MS: Gönnen dem Gesicht mehr Platz.

X: Sportunterricht in der Schule?

MS: Herr Preuße war ein krasser Lehrer, der oft gepopelt hat und man sich fragte … Nee! Besser noch: ich mit 28 Mädchen, Leistungskontrolle in Rhythmischer Sportgymnastik.

X: Craft-Beer?

MS: Ist Alkohol.

X: Selbstversorgertum?

MS: Müsste ich viel mehr machen. Aber ich habe Tomaten, die meine Mutter gießt.

X: Kribbeln im Hals an Anzeichen einer Erkältung?

MS: Ist bei mir das Anzeichen einer Erkältung.

X: Kopfläuse bei den Kindern?

MS: Jetzt gerade erst gehabt vor zwei Tagen. Eine Freundin hat’s weggemacht.

X: Gut durchgetrocknetes Buchenholz mit 15 Prozent Feuchtegehalt?

MS: Auf einen Meter absägen und dann in einen sehr großen Kamin packen. Hat das schönste Gelb in der Flamme!

X: Hollywood?

MS: Ist auf jeden Fall ein großer Traum, dass ich mit 50 da lebe und meine ersten 21 Oscars in Empfang nehme.

X: Matthias, vielen Dank für das Gespräch!


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