Vom Uhrensohn zum Watchman: Die Fantastischen Vier
Es ist der 22. März, Die Fantastischen Vier spielen heute Abend in der alten Heimat Stuttgart eine sehr kurzfristig angekündigte Clubshow im Wizemann, die in gefühlten vier Sekunden ratzfatz ausverkauft war. Und weil man ja eine schwäbische Arbeitermentalität hat, gibt man nachmittags fleißig Interviews für das im April erscheinende neue Album „Captain Fantastic“. In einem schlichten, aber sehr stylish eingerichteten Raum im riesigen Wizemann-Areal treffe ich auf Thomas D und And.Ypsilon. An einer Wand hängt hinter Glas ein echtes, 50.000 Jahre altes Horn eines Mammuts, das bei den Bauarbeiten damals ans Tageslicht kam – in Relation dazu ist der 2019 anstehende 30. Geburtstag der Vier quasi nichts … Thomas und Andy sind bestens gelaunt, tiefenentspannt und haben Bock auf das Gespräch; es gibt aber auch viel zu besprechen und man hat ja nur eine halbe Stunde Zeit.
Thomas D: (gleich voll begeistert beim Thema) Ja, cool, und was ein Zufall, ich habe gerade eine neue mit Druckluft angetriebene gebaut!
T: Ja, hab’ ich im Internet gesehen. Die mit Brennkammer ist in Deutschland leider verboten, weil die als Waffe zählt; Stichwort Kartoffelkanone. Außerdem hat sie eh nicht gezündet, ich musste also wieder eine Stufe zur Druckluft zurückgehen. Jetzt war aber der Kleber noch nicht trocken und ich konnt’s leider nicht mehr testen, bevor ich aufgebrochen bin. Der Hund wartet schon sehnsüchtig auf den ersten Einsatz!
T: Schau mer mal, sind nur 8 Bar Druck …
And.Ypsilon: Aber hey, 8 Bar – ich glaub’, dass das ganz gut abgeht!
A: Das wurde an uns herangetragen. Der Kontakt lief über die Plattenfirma beziehungsweise über den Bär (Andreas „Bär“ Läsker, Manager der Band – Anmerk. d. Verf.). Dann gab’s ein großes Meeting mit Lars Timmermann, dem Regisseur von der Filmakademie in Ludwigsburg, und seinem Programmierer-Team. Und wir waren dann in Rekordzeit auf einer Welle, weil so technische Pioniertaten liegen uns im Blut, wir haben ja schon immer begeistert Neues ausprobiert …
T: Die erste deutsche Band, die ein MTV unplugged gemacht hat …
T: … und dann 3D in fast 100 Kinos gleichzeitig live zu übertragen.
A: Und damals in den 90ern waren wir auch die Ersten, die so eine interaktive CD-ROM gemacht haben, wo man am Mischpult mit einzelnen Spuren aktiv werden konnte – das war damals echt was Neues! Und auch im Livebereich haben wir so einiges zuerst gemacht. Meines Wissens sind wir die erste HipHop-Band, die Liveinstrumente dazu genommen hat. Erst ein Schlagzeug, dann später mit kompletter Liveband, dann wieder gemischt mit zwei Schlagzeugern und einem Loop-Sequenzer und daraus hat sich dann unsere heutige Formation destilliert.
T: Aber natürlich können wir uns sowas nicht alleine ausdenken. Da kommt dann das Umfeld ins Spiel. Und dann gibt’s die Leute, die die Technik haben und beherrschen, die dann aber Leute für den Inhalt suchen und sich fragen, wer denn da was abliefern könnte. Und es sollte ja jemand sein, der dieses 3D-Format auch mit Leben und Bewegung füllt und nicht nur statisch an einer Gitarre klebt und da kommen sie dann halt auf uns! Und mit was? Mit Recht! (lacht)
A: Wir haben aktuell auch noch ein Virtual Reality-Projekt mit dem Fraunhofer-Institut am Laufen. Das ist aber noch nicht ganz spruchreif und wir müssen mal schauen, wann das reif ist.
T: Das kann gut sein!
T: Wie viele Bands gibt es, die 30 Jahre mit den gleichen Leuten arbeiten? Da brauchste keine zehn Finger, um die aufzuzählen …
T: Ich glaub’ eher nur drei Finger, aber egal. Es ist aber tatsächlich fast von Anfang an dieser harte Kern von uns Fünf mit dem Bär, und das wird wahrscheinlich auch so bis zum Ende bestehen. Es gibt dann noch ein paar andere Mitarbeiter im direkten Umfeld, die auch schon so lange dabei sind. Also vom Anwalt über Berater bis hin …
A: Und unsere Promoterin Nash ist auch schon so lange mit dabei. Wenn man so lange miteinander arbeitet, dann wird halt manches wirklich einfacher, weil man’s halt nicht immer wieder von vorne
erklären
muss, das spart viel Zeit, Arbeit und Nerven!
A&T: Auf jeden Fall!
T: Und mal abgesehen von den eigenen Eltern, haben wir auch mit keinen anderen Leuten den größten Teil unseres Lebens geteilt – und das sind nun mal 30 Jahre. Und es wissen sonst auch nicht so viele Leute, wie es ist, wenn man mit BHs oder Tomaten beworfen wird.
A: Oder mit Teddybären!
T: Einmal hatten wir tatsächlich auch Becher mit Scheiße!
A: (ganz ernst) Jeder in seinem Bus! (Thomas D schmeißt sich weg vor Lachen)
T: Es ist eher so der Stretchlimo-Bus. (lacht) Ja, klar, träum weiter! Nee, wir vier fahren tatsächlich zusammen in einem Bus. Manchmal fahren wir auch mit unserer Band zusammen, das hat aber
oft logistische Gründe. Wir freuen uns also auch, wenn wir die Mucker auch abseits der Bühne sehen. Es gibt danach dann auch immer Sachen zu bereden, man reflektiert das Konzert noch mal und ist auch während der laufenden Tour ständig am Verbessern der Abläufe und so weiter.
T: Teilweise ja, wobei sich das mit der Choreografie bei uns in Grenzen hält. Das sind vielleicht so zwei, drei Stücke. Aber da geht’s dann auch so um Abläufe und Lich*T:* „Hey Smudo, Alter, da musst du da stehen!“
T: Smudo dann aber so: „Ich seh’ es halt nimmer!“
A: Ja, vor allem im textlichen Bereich. Musikalisch haben wir das ja schon früher zugelassen.
T: Da haben wir schon lange einen Pool aus bewährten Partnern, es kommen da aber auch immer wieder frische Leute dazu. Textlich hat das aber erst mit „25“ angefangen. Da kam der Samy Deluxe um die Ecke und meinte „Ich hab’ da ’nen Song für die Fantas, hört Euch das mal an!“. Und das war so ein faszinierender Moment, wie der sagte „Thomas, Smudo, Andy, Michi rocken die gesamte City!“, und ich dann nur so dachte, dass ich sowas nie sagen würde. Und dann ging’s weiter „schon so lang da, köpft den Champagner, die Legende also hebt die Hände!“ Und wie sich’s bei „25“ im dritten Refrain dann auch wunderschön alles selbst erklärt „die Legende, ständig am Ende, schon so lang da, scheiß auf Champagner!“ – das … so was schreiben die Fantas! Und Samy kam da halt mit seiner Sicht von außen dazu: „Was stellt Ihr Euch so an, Ihr seid ’ne Legende, Ihr habt deutschen HipHop erfunden!“ Und wir halt immer eher so am selbstzweifeln und überlegen, wie lange das alles noch geht.
A: Und diese Kombination aus Samys Attitude und unserer kritischen Sicht hat’s dann doppelt so spannend gemacht. Es ist lustig, es ist HipHop-typisch bisschen dicke Hose, aber es hat eben auch diesen Fanta-Twist. Und der muss auch immer von uns kommen. Es ist nicht möglich, dass ein Externer den Fanta-Humor schreibt.
T: Aber du kannst Dir von außen Ideen holen, auf die du einfach nicht gekommen wärst, und das bereichert diese Platte gerade auch auf der textlichen Ebene extrem. Neben Samy waren auch noch Curse und Damien, ein enorm talentierter Texter aus Berlin, beteiligt.
T: Ich glaube, wir hatten „Silberhochzeit – immer noch breit!“ (lacht)
T: Der Bär macht das Business und Gott sei Dank haben wir den. Der holt die Deals an Land und geht Leuten auf den Sack und ich bin so froh, dass ich das nicht machen muss. Und da gibt’s ja auch diese komische Einstellung da draußen, dass das, was guttut, umsonst sein soll. Und wenn der Künstler dann auch noch Geld will für seine Musik, dann gehört er zu den Bösen, zu den Bonzen, zu den Geldgeilen.
T: Vier neue Songs sind’s, und das ist echt viel, finden wir.
A: (wieder staubtrocken) Das ist echt nicht schwierig, es werden einfach die besten Songs gespielt! (alle lachen)
T: Bloß nicht!
A: Aber im Ernst, es gab noch nie richtigen Streit oder Diskussionen darum. Mit dieser Erfahrung ist auch allen bewusst, was für oder gegen einen Song spricht. Thomas mag zum Beispiel „Yeah-YeahYeah“ gar nicht so gerne, aber dieser fuckin’ Scheiß funktioniert halt, und das muss man anerkennen!
T: Auch ein Michi Beck schreit bei „Sie ist weg“ oder „Picknicker“ auch nicht mehr Hurra, aber wir spielen die natürlich heute Abend und auch Michi weiß, dass das einfach dazugehört.
A: Aber wir arbeiten dann auch mit kleinen Tricks und lassen zum Beispiel bei „Sie ist weg“ und „Picknicker“ eine Strophe weg. Da muss man ganz realistisch checken, was geht live ab und dann eben auch sehen, wenn etwas mal nicht mehr funktioniert.
T: Klar, da hatten wir immer wieder so Dinger, wo wir dachten: „Ey, das ist doch der neue Superburner!“, beim letzten Album etwa „Gegen jede Vernunft“, den haben wir so gefeiert – aber das Publikum irgendwie null. Kann passieren so was!
T: Ja, wie geil oder? Und ich hab’s erst null gecheck*T:* „Warum ist der Hulk denn jetzt inkredibil, der ist doch cool?“ Bis es mir dann dämmerte … The Incredible Hulk!
A: Wobei ich sagen muss, dass das die Idee der anderen Herren war, ich hab’ aber gleich ja gesagt! Und ich hab’ hart gearbeitet und es hat natürlich gefühlt tausend Mal länger gedauert als bei den anderen! (lacht)
A: Ja, blöde Kiste. Die verstehen überhaupt keinen Spaß und haben das Prinzip nicht verstanden, die sind einfach aus ’ner anderen Generation.
A: Ja, aber sie gehen wohl in die nächste Instanz!
A: Ja, tatsächlich. Ich hab’ mal Karl Bartos kennengelernt. Das war glaub ich 1991, wir hatten unser erstes Album draußen und spielten im Jugendhaus Degerloch … äh Düsseldorf. (lacht) Karl Bartos hat mich also angerufen – was mich schon völlig geflasht hat – und wollte mich treffen. Er kam also zu der Show in Düsseldorf und sagte mir, dass er Die Fantastischen Vier produzieren möchte – und ich hab’ ihm gesagt, dass er sich das von der Backe wischen kann! (lacht) Aber man muss echt sagen, dass der echt einen guten Riecher hatte. Und der war damals auch schon älter … aber hier, später hat er dann Coldplay produziert.
A: Ja, aber Karl Bartos war kein Depp – aber wir haben das leider mit anderen Leuten erleben dürfen!
T: Oh ja! Es ist gefährlich, seine Idole zu treffen!