Mit Wasser aus dem Stiefel: Cloris

Rye Curtis | aus dem Englischen von Cornelius Hartz | 352 Seiten | Ch. Beck | 24,-- € | E-Book 17,99 €

In seinem Debütroman „Cloris“ setzt Rye Curtis seine 72-jährige Heldin in der Wildnis aus

In dem 6500 Quadratkilometer großen Waldgebiet mit mehr als 3.000 Metern hohen Bergen möchte man nicht unbedingt eine Bruchlandung hinlegen. Der 72-jährigen Cloris Waldrip erspart der Autor Rye Curtis diese Qual nicht, sondern packt noch noch einen drauf: Er bürdet ihr noch ein zweieinhalbmonatiges Martyrium im Montana Bitterroot National Forest, im Nordwesten der USA, auf. Sein Roman „Cloris“ ist ein wilder Mix aus Überlebensstory, philosophischen und recht handfesten Lebensbetrachtungen und schauerlich-schönem Stück „Nature Writing“ aus der Feder eben jener Abgestürzten, die 20 Jahre später ihre unglaubliche Geschichte zu Papier bringt.
„Die Leute sind halt, wie sie sind, ich glaube, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ So hebt die aus Texas stammende Überlebende ihren staubtrockenen und mit grimmiger Komik durchzogenen Bericht damit an, dass sie über niemanden mehr vorschnell den Stab bricht. Der Ich-Erzählung über den Überlebenskampf im Wald stellt Autor Curtis in einem zweiten Strang das Ringen der Parkrangerin Debra Lewis zur Seite. Die ist nämlich überzeugt, dass jemand den Absturz überlebt haben muss und stellt Suchtrupp um Suchtrupp zusammen - während sie ungehörige Mengen an Merlot aus ihrer Thermoskanne in sich hineinschüttet und in eine bizarre Beziehung mit einem Mitglied der Rettungskräfte hineinrutscht.
Der Kunstgriff der Parallelerzählung birgt immer die Gefahr, dass ein Teil qualitativ hinterher hinkt und hier hätte Curtis mit der Kürzungsschere besser beim repetitiven Debra-Lewis-Teil durchgreifen können.
Wogegen er aber mit seiner titelgebenden Heldin einen bleibenden Charakter erschaffen hat: Ebenso bibeltreu und resolut, wie absolut planlos stolpert diese Cloris durchs Unterholz, trinkt Regenwasser aus dem Alligatorenleder-Stiefel ihres Mannes und erhält dabei Unterstützung von einem mysteriösen „Kapuzenmann“, der sein ganz eigenes Geheimnis mit sich trägt. Zwischen David Lynch und den Coens-Brüdern angesiedelt und mit handfesten Lebensweisheiten einer zähen Überlebenskünstlerin vollgestopft, schafft Rye Curtis einen zwar nicht perfekten aber sehr eigenwilligen Roman über Wendepunkte im Leben und die Frage, was letztendlich zählt, wenn es hart auf hart kommt.


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