Im Opern-Jet auf Klassenfahrt: Avantasia

Mit über drei Millionen verkaufter Tonträger, hunderten Konzerten in fast vierzig Ländern in Asien, Nord-, Süd- und Mittelamerika, Australien und natürlich Europa, gehört der Fuldaer Sänger und Komponist Tobias Sammet zu den international erfolgreichsten Musikern, die in den letzten Jahren aus der deutschen Musiklandschaft hervorgingen. Ob mit der 1992 von ihm gegründeten Band Edguy oder seinem Rockoper-Projekt Avantasia, bei dem er in den vergangenen Jahren im Studio u.a. mit solch renommierten Musikern wie Michael Kiske (Ex-Helloween), Eric Martin (Mr. Big), Alice Cooper, Klaus Meine und Rudolf Schenker von den Scorpions und Mitgliedern der legendären US-Band KISS gearbeitet hat - sämtliche seiner jüngsten Veröffentlichungen belegten Plätze in den Top-10 der weltweiten Albumcharts. Das Livealbum „The Flying Opera - Around The World In 20 Days" belegte 2011 in Deutschland, Schweden und Österreich sogar Platz 1 der offiziellen Charts. Das neue Avantasia-Album „The Mystery Of Time“ erscheint dieser Tage und parallel zur Veröffentlichung geht es auf große Welttournee. Kurz vor der Veröffentlichung stand uns ein sehr entspannter und gut gelaunter Tobi Sammet Rede und Antwort.

XAVER: Tobi, beim Hören des neuen Albums ist mir zuerst mal die volle Orchesterbreitseite aufgefallen. Nun kann man mit Computern ja heute sehr viel zaubern, aber das war offensichtlich ein echtes Orchester. Wie bist Du aufs Deutsche Filmorchester Babelsberg gekommen?

Tobias Sammet: Ich hatte diesen Song „Black Orchid“ geschrieben und dabei das Gefühl gehabt, dass das ein richtiges Orchester sein könnte, das da zu hören ist. Und wir hatten früher schon mal mit dem Babelsberger Filmorchester zusammengearbeitet und ich wusste, dass die auch in der Lage sind, es mit einer richtigen Rockband aufzunehmen. Denn normalerweise orientieren die sich ja an nem Dirigenten, der da seinen Taktstock schwingt. Aber zu unseren Zwecken ist es eben wichtig, dass die auch auf Klicktrack bzw. mit Kopfhörern spielen können. Und dieses Orchester ist es eben gewohnt so und unter modernsten Studiobedingungen aufzunehmen.
X: Die haben ja schon mit Millionensellern wie Rammstein, Sting, Peter Fox und Celine Dion gearbeitet…

TS: Ja, nicht umsonst, die klingen und spielen unheimlich gut. Man weiß aber vorher trotzdem nie, ob sich die Investition in ein echtes Orchester wirklich auszahlt, oder ob es mit Computern und/oder Keyboards ähnlich gut geworden wäre. Da kann man ja heute schon unglaublich viel machen, selbst in Hollywood arbeiten die ja manchmal mit Sounds aus der Dose. In unserem Fall ist das Resultat aber so organisch, warm und echt geworden, dass ich den Aufwand zu keiner Sekunde bereut habe.
X: Mit auf Tour gehen die aber nicht, oder?

TS: Nein. Ich finde live ist das immer noch mal eine andere Geschichte. Weil gerade bei Rock- oder Metalbands geht das wirklich voll auf die Zwölf, man ist sehr laut usw. Und da dann ein echtes Orchester auf die Bühne zu setzen macht eigentlich keinen Sinn. Und wenn man dann doch mal ein Orchester mit einer Metalband gemeinsam auf einer Bühne sieht, dann ist das Orchester der Einfachheit halber meist Playback. Mir wäre das also zu aufwändig gewesen und vor allem auch lästig nur wegen einer „Kulisse“ die Produktionskosten derart hochzuschrauben und somit auch die Eintrittspreise um mindestens 30 Prozent zu erhöhen. Wir machen das oldschoolmäßig und lassen noch nicht mal die Orchesterspuren vom Band kommen, sondern unser Keyboarder Michael Rodenberg, der die Orchesterarrangements auch selbst geschrieben hat, wird das live, so gut es eben geht, nachspielen.

X: Mit auf die „The Mystery World Tour“ gehen aber einige der vielen prominenten Gäste auf Deinem neuen Album, u.a. Eric Martin von Mr. Big, Michael Kiske (Ex-Helloween), Bob Catley (Magnum) und Ronnie Atkins (Pretty Maids). Das klingt nach ner Menge Egos und evtl. sogar Diven auf einem Haufen. Wie oft hat Dein Tourmanager Dich schon verflucht?

TS: Überhaupt nicht. Sowohl unser Tourmanager als auch unser Produktionsleiter haben gesagt, dass Avantasia-Touren die entspannendsten und schönsten Touren sind, die sie je gemacht haben. Alle beteiligten Musiker wissen ganz genau, dass das eine einmalige, besondere Konstellation ist. Dadurch, dass die meisten Beteiligten jeden Abend auch nur recht kurze Einsätze haben, ist auch kaum Leistungsdruck vorhanden; der Spaß steht im Vordergrund. Mit meiner anderen Band Edguy hab ich mittlerweile über 600 Konzerte gespielt, da gibt’s natürlich schon auch mal Tage, an denen man nicht gar so gerne auf die Bühne geht. Bei Avantasia hat das Ganze aber eher so nen Klassenfahrt-Charakter. Trotz der vielen beteiligten Stars gab es noch nie Egoprobleme. Da jetten 25 gutgelaunte Leute im Flugzeug durch die Welt und wissen, dass sie jeden Abend vor ausverkauftem Haus spielen und alles wie am Schnürchen läuft.

X: Auf dem Album sind ja noch viel mehr Stars beteiligt, hast Du Dir im Vorfeld eine Wunschliste gemacht und die dann abgearbeitet?

TS: Nee. Ich versuche da nicht wie ein Buchhalter ranzugehen. Ich schreibe nen Song und hab dann intuitiv ne Idee, wer der Sänger sein könnte. Klar wird diese Auswahl ganz extrem von meinem persönlichen Geschmack beeinflusst. Denn das war ja die Grundidee hinter Avantasia: Ich wollte mit Sängern, die mir persönlich viel bedeuten, Platten aufnehmen.
X: Aber es gab doch bestimmt auch Songs, bei denen es leider mit Deinem Wunschsänger nicht geklappt hat?

TS: Mit Joe Lynn Turner (Sänger bei u.a. Rainbow, Yngwie Malmsteen und Deep Purple, Anmerk. d. Verf.) hätte es fast nicht geklappt. Der hatte so einen vollen Terminplan, dass er mir nur kurz vor Ende der Aufnahmen ein Fenster einrichten konnte - und da war dann prompt der Schneesturm in New York, wo er wohnt. Er war also mal eben ohne Strom und Benzin. Er ist dann einmal am Tag ins Internetcafé gelaufen, hat dort seine Mails gecheckt und mich auf dem Laufenden gehalten. Auf den letzten Drücker hat dann noch alles geklappt - worüber ich sehr glücklich bin! Ansonsten würde ich sehr gerne mal mit Bruce Dickinson (Sänger von Iron Maiden, Anmerk. d. Verf.) zusammenarbeiten, das ist noch so ein Traum von mir, aber der ist einfach zu beschäftigt - aber ich geb nicht auf und probier es immer wieder!
X: Wahrscheinlich hättest Du größere Chancen ihn als Piloten zu bekommen! (Dickinson hat einen Pilotenschein und darf Passagierflugzeuge fliegen, Anmerk. d. Verf.)

TS: (lacht) Ja, das ist wohl wahr!

X: Bei der kommenden Tour spielt ihr wohl jeden Abend satte drei Stunden. Das grenzt ja an Leistungssport. Bereitest Du Dich da gezielt drauf vor? Diät? Joggen?

TS: Naja, Leistungssport ist das am ehesten für unseren Schlagzeuger, denn der spielt das komplette Programm durch. Ansonsten haben wir alleine sieben oder acht Sänger, das wird für den Einzelnen also nicht so extrem. OK, ich bin auch relativ präsent (lacht), aber ich bin fit. Ich habe schon lange nicht mehr geraucht. Wobei man dazu sagen muss, dass ich ja eh nie richtig geraucht habe, nur ab und an so Vanille-Zigarillos.

X: Neben den gängigen europäischen Ländern sind auch Shows in Argentinien, Chile und Brasilien dabei. Du hast dort schon gespielt, wie groß ist Metal dort?

TS: Ich denke, dass die Leute in manchen Ländern etwas heißblütiger sind. Wenn Du beispielsweise in Argentinien auf die Bühne gehst, kannst Du Dir die Monitorboxen eigentlich sparen, die drehen so am Rad, da hört man sowieso nicht mehr, was man spielt. Wer das nicht glaubt, kann sich ja mal die AC/DC-DVD „Live At River Plate“ anschauen. Natürlich spielen wir nicht vor 50.000 Leuten im Stadion, aber die Leute sind dort einfach wahnsinnig enthusiastisch. Es ist aber keinesfalls so, dass ich jetzt weniger gerne in Europa spiele. Selbst in Deutschland gibt es da ganz derbe Unterschiede. Und ich sag das jetzt nicht, weil ich weiß, wo der XAVER zu Hause ist, aber der Schwabe ist schon irgendwie der Brasilianer unter den Deutschen! Der Hanseat ist da doch deutlich kritischer.

X: Kannst Du Dich noch an Deinen ersten Kontakt mit harter Mucke erinnern, war das mit Rebellion verbunden, hattest Du zu kämpfen?

TS: Das hatte auf jeden Fall mit Rebellion zu tun, denn ich war da anfangs ziemlich allein in meiner Klasse und in meinem Freundeskreis. Ich kann mich daran erinnern, dass ich immer die AC/DC-Kassetten von meinem großen Bruder gehört habe. Ich war wohl so ca. acht Jahre alt und wollte immer das Lied mit den Glocken hören. Ich weiß auch noch, dass wir in der zweiten Klasse in den Kunstunterricht immer Musik mitbringen durften. Die anderen brachten dann Jan Tenner und irgendwelche Märchenkassetten an und ich hatte eben AC/DC dabei. Das fand meine Kunstlehrerin gar nicht schön. Aber die Liebe für diese Musik und Bands blieben und mit 13 hab ich dann mit ein paar Schulfreunden die Band gegründet aus der dann später Edguy wurde.
X: Und das haste jetzt davon!

TS: (lacht) Ja, genau. Das hab ich jetzt davon, nix Ordentliches gelernt, keinen festen Wohnsitz und permanent unterwegs! Aber jetzt ohne Quatsch: Ich bin echt sehr dankbar über den Verlauf meiner Karriere!

X: Was war für Dich Dein seither größter Fanboy-Moment, als Du einem persönlichen Helden gegenüber standest?

TS: Oha, da gab’s viele. Ich fand es sehr schön KISS kennen zu lernen, weil das eben so eine absolute Lieblingsband von mir ist. Es war geil mit Iron Maiden zu spielen und mit Aerosmith zu touren. Bei einer Iron Maiden-Show kam dann ihr Manager Rod Smallwood mit ihrem Basser Steve Harris in unsere Garderobe. Und Steve Harris gratulierte mir dann zur gelungenen Show und outete sich als Fan. Und so was bedeutet mir mehr, als tausendmal Album des Monats in allen Magazinen der Welt!

X: Wie machst Du das eigentlich mit dem Songwriting? Tüftelst Du permanent an neuen Parts und entscheidest dann jeweils, ob das jetzt bei Edguy oder Avantasia verwendet wird?

TS: Niemals, nein. So würde ich das gar nicht wollen, dann müsste ich ja immer irgendwie werten. Ich trenne das ganz strikt und arbeite immer nur an einer Kiste. Und wenn das dann abgeschlossen ist, denk ich wieder an die jeweils andere Band. Deswegen war es auch gut, dass ich Avantasia zeitweise ad acta gelegt hatte.

X: Das Album erscheint Ende März. Du hast viel Herzblut, Zeit, Energie und nicht zuletzt Geld investiert - spürst Du auch einen gewissen Druck, dass das Album erfolgreich werden und hoch in die Charts schießen muss?

TS: Ich bin da relativ gelassen. Ich bin so überzeugt von der Qualität der Platte, ich denke wir werden auch ordentlich verkaufen. Aber, ganz ehrlich, klar könnte ich mir jetzt die Haare raufen und nägelkauend in der Ecke sitzen und dem Veröffentlichungstermin und den ersten Chart-Prognosen entgegenzittern, aber ob ich mir jetzt Gedanken mache, oder nicht, ich werde deswegen nicht eine Platte mehr oder weniger verkaufen. Ich hab meine Arbeit getan. Ich hab ne Platte abgeliefert, hinter der ich zu 100 Prozent stehen kann und alles andere liegt dann nicht mehr in meiner Macht!

X: Und wie geht’s weiter mit Avantasia, geht’s überhaupt weiter?

TS: Doch, auf jeden Fall. Es wird ein weiteres Album geben, ich hab auch schon ein paar Ideen, aber ich weiß nicht, wann ich es angehen werde. Jetzt touren wir erst mal, dann beginnen im Herbst die Arbeiten für ein neues Edguy-Album, das wohl im Sommer 2014 erscheinen wird - und mehr weiß ich selbst noch nicht, aber ich freu mich drauf!


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