Dostojewskis Nabel und die wilden Kerle: Joy Denalane
Joy Maureen Denalane wurde 1973 in Berlin geboren und wuchs in Kreuzberg auf. Ihr aus Südafrika stammender Vater verlor während des Studiums sein Herz an eine Heidelbergerin. Joy ist das dritte von sechs Kindern. Bereits mit 16 zog sie daheim aus und stand mit 19 Jahren mit ihrer Musik auf der Bühne: Ihr zukünftiger Weg war klar. Nach ihrem Abitur, das sie mit 22 absolvierte, studierte sie mit Mitte 30 dann sogar kurz, aber ihre Leidenschaft gilt einfach der Musik. Ihr erster Plattenvertrag führte sie Ende der 90er-Jahre nach Stuttgart, wo sie ihren späteren Mann Max Herre kennenlernte, den Frontmann der Hip-Hop-Formation Freundeskreis. Ihr Duett „Mit Dir“ wurde Sommerhit des Jahres 1999 und ist bis heute ein völlig schmalzfreies und authentisches Liebeslied. Anfang 2017 erschien Denalanes viertes Soloalbum „Gleisdreieck“ und im November ist sie wieder auf Tour. Ende September nahm sich die bestens aufgelegte Soulqueen Zeit für ein ausführliches Telefonat.
Joy Denalane: Ja, genau.
JD: Eigentlich gut. Ich bin aufgestanden, habe die Kinder geweckt. Dann bin ich in die Sportklamotten gestiegen und habe im Park meine Runden gedreht. Anschließend war ich kurz einkaufen und bin wieder heimgegangen. Und das alles bei allerbestem Wetter hier in Berlin! Dann habe ich kurz mit dem Büro und einem Regisseur Kontakt gehabt und jetzt unterhalten wir uns.
JD: Ja, und zwar nicht nur für das Konzert sondern ich habdieses Mal auch die Proben für die Tour im November vorgezogen, weil sich das aufgrund der vielen Termine aller Beteiligten nicht anders arrangieren ließ.
JD: Viersen spielen wir in der normalen Bandbesetzung und ich meine, dass das dann 2017 auch die letzte Show in dieser Besetzung ist.
JD: Ich habe mich als Sängerin schon immer gerne in so einem akustischen Set-up bewegt und empfinde dieses andere Klanggewand als sehr angenehm. Und so als Gegenentwurf zur ersten Tour im April fand ich das eine nette Idee. Mit dem Set-up haben wir auch ganz bewusst die Umgebung geändert, in der diese Konzerte dann stattfinden. Wir gehen also vom Club mit einer Fullband in die Theaterhäuser und Kulturkirchen mit einem kleineren, akustischen Set. Und das ist ja dann ziemlich kohärent, sozusagen.
JD: Es wird einen Kontrabass, eine Gitarre, ein Schlagzeug, ein Piano und eine weitere Sängerin geben.
JD: Nein. Das hätte ich natürlich auch gerne, aber das geht wahnsinnig in die Kosten. So was in die Richtung machen wir nur vereinzelt; am 11. November gebe ich in Düsseldorf dieses Mikis Takeover-Konzert mit einem ganzen Orchester. Darauf freue ich mich schon sehr!
JD: Oh, das ist eine gute Frage. (überlegt) Nein, eigentlich bin ich kein gläubiger Mensch. Aber wie Du an meinem Zögern vor der Antwort schon festgestellt hast, kann ich’s auch nicht so ganz klar und sofort beantworten. Denn ich bin schon in einer gläubigen Familie aufgewachsen. Meine Eltern waren Protestanten und haben uns auch in diesem Glauben erzogen. Ich habe als Kind also an Gott geglaubt, auch wenn wir keine großen Kirchgänger waren und ich nicht konfirmiert wurde. Im Laufe der Jahre habe ich dann meine Vorstellung verändert und gehöre wohl eher zu den Agnostikern. Ich würde nie mit absoluter Überzeugung behaupten, dass es da nichts geben kann. Und es ist immer eine wichtige Frage, wie man Göttlichkeit definiert. Ich kann aber auch nicht sagen, dass ich irgendeiner Weltreligion angehöre. Menschen sind nicht verantwortlich dafür, wo sie hineingeboren werden, aber sie sind eben sehr wohl für ihr Handeln verantwortlich.
JD: Da stimmt. Aber wir sind auch keine Eltern, die ihren Kindern vorschreiben, was sie zu glauben oder eben nicht zu glauben haben. Da sind wir relativ offen und das verteilt sich tatsächlich unterschiedlich. Der eine sieht die Welt eher pragmatisch und orientiert sich an Fakten und der andere ist eher spirituell. Und das ist ihr gutes Recht, da lassen wir sie sich selbst entfalten.
JD: … Palästen!
JD: Das geht uns ganz genauso. Es gibt auch kaum eine Stadt, die ich als Tourist oder Besucher erlebe, in der ich nicht in eine Kirche hineinlaufe, wenn sich die Gelegenheit bietet. Ich war vergangene Woche bei der Freundeskreis-Show in Köln und bin in den Dom reingelaufen, denn da gibt es ja dieses Gerhard Richter-Fenster.
JD: Aber da wir an einem Samstag da waren, war der Dom natürlich völlig überlaufen. Ansonsten sind Kirchen oft Orte der Ruhe, aber in Köln ist es das komplette Gegenteil. Sonst setze ich mich in einer Kirche auch gerne mal hin und besinne mich auf mich selbst … Vor Kurzem waren wir auch wieder in Südafrika in der Regina Mundi-Kirche in Soweto. Da fanden damals zu Zeiten der Apartheid sehr viele Versammlungen der Freiheitsbewegung statt. Kirchen haben in unterschiedlichen Zeiten eben auch unterschiedliche Aufgaben und Funktionen.
JD: Wenn ich ganz ehrlich sein soll, war ich ziemlich eingebunden an diesem Tag und hab abseits unseres Auftritts gar nicht so viel mitbekommen. Aber die Grundidee war wohl, dass man dem rein nach kommerziellen Aspekten ausgerichteten Echo etwas entgegensetzt. Beim Echo bekommt eine Band wie z. B. Frei.Wild, nur weil sie entsprechend viel verkauft hat, auch eine Bühne. So etwas soll beim Preis für Popkultur eben nicht stattfinden. Da geht’s eher darum, auch dem Nachwuchs, der noch die ganz großen Massen noch nicht erreicht hat, eine Bühne zu geben. Ob sich dieser neue Preis etablieren wird, kann ich nach diesem ersten Mal aber echt noch nicht sagen. Von den 13 Kategorien haben meines Wissens nach nur in zwei Kategorien Frauen gewonnen. Die Auszeichnungen der andere elf Kategorien gingen an Männer. Ich glaube, es würde dem Preis guttun, wenn sie sich noch breiter aufstellen würden – aber schauen wir mal, wie sich das in den nächsten Jahren entwickelt.
JD: Ich glaube, ich brauche etwas mehr Zeit, um diesen Abstand zu gewinnen, von dem Du da sprichst. Ich spiele viele Stücke immer noch oft live. Die sind also so nah an mir dran, dass mir da echt noch die Distanz fehlt. Ich habe das Album aber in seiner produzierten Form lange nicht mehr angehört, weil ich eben mit der Liveumsetzung arbeite.
JD: Nein, ganz und gar nicht. Ich kann mich echt nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal ein altes Album von mir gehört habe. Wir Künstler produzieren immer wieder etwas Physisches oder heute eben auch Digitales. Dieses Produkt ist dann da. Aber für den Künstler an sich – und ich spreche da jetzt mal bewusst allgemein – sind das nur Momentaufnahmen. Ich sehe mir auch keine alten Livemitschnitte von mir an. Für mich ist nach der Show immer auch vor der Show. Darauf konzentriere ich mich und das interessiert mich.
JD: Nö. Und ich habe auch da in den letzten Monaten nicht noch mal reingehört. Wenn sich das irgendwann einmal konzeptionell anbietet, dann könnte es schon sein, dass ich das aus der Schublade hole, aber bisher ist da nichts geplant. Ich habe ja auch gerade gesagt, dass mich immer das Kommende mehr interessiert, als das Vergangene.
JD: Also ich weiß von nichts!
JD: (lacht) Nee, ich kenne natürlich alle, aber ich weiß echt von nichts! Das heißt, sie wissen selbst noch nichts – oder sie haben es mir nicht gesagt! Zumindest vorerst stellt das Konzert in Köln den Abschluss dar. Der war mit über 11.000 Zuschauern aber auch ganz besonders schön. Unglaublich.
JD: Ja, klar. Da fällt mir als allererstes „Wo die wilden Kerle wohnen“ ein. Es gab dann auch mal eine Kinderbibel bei uns, die kam aber gar nicht so gut an. Sie fanden das alles so furchtbar und grausam. Eines meiner Kinder hat dann aber schon sehr früh einen Zugang zur griechischen Mythologie gefunden, also zu diesen ganzen unglaublichen Göttersagen.
JD: Kann ich eigentlich nicht so sagen. Ja und nein. Sie sind jetzt keine Leseratten, aber ich glaube, man hat mit dem Lesen ja auch so Phasen. Es gab in meinem Leben Jahre, in denen ich nicht gelesen habe. Später habe ich dann aber wieder den Zugang gefunden, der mir abhandengekommen war. Zwischen dem jugendlich sein und dem erwachsen werden hatte ich andere Dinge zu tun, als zu lesen. Aber als Kind habe ich super gern gelesen und das kam dann im Erwachsenenalter wieder.
JD: (lacht) Ja, davon habe ich eine Zeit lang geträumt! Nach einer Zeit kam ich dann aber immer zu dem Schluss, dass das vielleicht doch keine so gute Idee ist!
JD: Ja, schon. Aber dieser ganze autobiografische Bereich interessiert mich überhaupt nicht. Ich halte mein Leben nicht für so unglaublich erzählenswert. Ich glaube, wenn ich tatsächlich irgendwann ein Buch schreibe, würde ich es wohl unter einem Pseudonym veröffentlichen!
JD: Ach, das kann ich jetzt natürlich selbst schlecht beurteilen, wie tiefenentspannt und souverän ich bin. Ich begegne erst mal allen Menschen freundlich, das hat aber einfach etwas mit der Kinderstube zu tun. Uns wurde beigebracht, dass wir nicht der Nabel der Welt sind. Ansonsten bin ich vielleicht schon dahingehend souverän, dass es mich nicht sonderlich belastet, wenn Menschen an mir Anstoß nehmen. Ich kann aber auch sehr temperamentvoll sein. Es gibt außerdem Leute in meinem Umfeld (lacht schallend), gerade Leute, die mich sehr gut kennen, die den Satz, dass ich die Ruhe in Person bin, bestimmt nicht unterschreiben würden! Ich kann schon auch sehr aufbrausend sein. (lacht)
JD: Oh mein Gott! … Ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen zuhören und das große Ganze in Betracht ziehen. Das ist im Kern schon irgendwie der Weltfrieden, aber so platt meine ich das nicht! (lacht) Mir geht es eher um das gegenseitige Verständnis. Mein zweiter Wunsch wäre Gesundheit – und das würde natürlich auch meine Nächsten mit einschließen. Und mein dritter Wunsch würde dann darin münden, nämlich sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr alt zu werden.